11.10.2022 "Nein, wir wollen nicht wieder schweißen?"
Nachbericht zum Klebforum-Doppel
Kleben funktioniert – auch wenn man bei den Diskussionen rund um die Vorträge der Doppelveranstaltung "Erfolgreiches Kleben ist Teamwork" sowie "Die Vorteile industrieller Klebebänder nutzen – Insider geben Tipps" kurzzeitig einen anderen Eindruck gewinnen konnte. Deutlich wurde vielmehr, dass man bei den Menschen ansetzen muss. Die Stellschrauben sind Sensibilisierung, Wissen und Kommunikation.
Die Entwicklung des Klebens fällt heute in eine Zeit, in der verschiedene große Trends wie New Mobility, die Energiewende und Nachhaltigkeit bzw. Ökologie die Rahmenbedingungen definieren und gleichzeitig Zeitdruck bedeuten. Die Zukunftstechnologie des 21. Jahrhunderts muss – schneller als das Schweißen (100 Jahre), das unter Qualitätsaspekten gerne als Referenz genommen wird, – höchste Qualität liefern und wachsenden Anforderungen gerecht werden. Und das betrifft ganz unterschiedliche Ebenen. Wird die Technologie unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit betrachtet, so hat sie noch beim Image noch viel Luft nach oben. Professor Dr. Andreas Groß vom Fraunhofer IFAM Bremen wies in seiner Keynote darauf hin, dass das Kleben im Rahmen der R-Strategien ganzheitlich gedacht werden muss, um das Potenzial der Technologie erkennen und zukünftig richtig einsetzen zu können. Die in Deutschland noch vorherrschende Reduktion des Themas auf R 9 = Recycling ginge am Thema vorbei, so Groß. Auch habe das Kleben als überwiegend chemiebasierte Technologie ein weiteres Imageproblem. Mit dem „Kopf“ betrachtet, böte die Technologie zwar heute und morgen viele Lösungsansätze. Mit dem „Bauch“ betrachtet, sähe das bei vielen Entscheidern bis hoch in die Politik aber anders aus. Hier müsse das Kleben ganzheitlich an seinem Image arbeiten und Vertrauen schaffen.
Die technologische Entwicklung ist da, …
Rund um die Game-Changer-Vorträge rückten dann mehr die Aspekte des Entwicklungspotenzials der Technologie in den Vordergrund. Neue technische Lösungen erlauben kürzere Taktzeiten und längere Standzeiten beim automatisierten Dosieren. Biobasierte Klebstoffe sind im Kommen. Neue Plasmavorbehandlungsverfahren eröffnen neue Möglichkeiten der Oberflächenfunktionaliosierung für Klebflächen. Und auch für die Dokumentation von Klebprozessen stehen heute neue Ansätze zur Verfügung. Bei aller technischen Entwicklung wurde aber eines immer wieder deutlich – der Faktor Mensch ist mit seinem Wissen, seiner Kommunikation im Team und seiner Sensibilisierung für komplexe industrielle Abläufe entscheidend für erfolgreiche Klebprojekte. Hier setzte ein weiterer Vortrag an, der das automatisierte Kleben in den Kontext zur Klebpraktiker-Ausbildung von Bediener:innen setzte.
… der Mensch sollte (muss) folgen
Bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Erfolgreich Kleben im Team oder wer muss bei einem Klebprojekt was von wem wissen“ wurde schnell klar, welche Bedeutung der Faktor „Mensch“ beim erfolgreichen Kleben hat. Auch wurde schnell deutlich, dass die Diskussionsteilnehmer in Rollen von Konstruktion über Anlagenplanung, Vorbehandlung, Auftragstechnik und Qualitätssicherung nur einen Teil des Themas abdeckten. Das Podium hätte größer sein müssen. Die Rolle „Logistik“ fehlte, was auch zeigte, dass die Logistik von Klebstoffen in der Praxis gerne übersehen wird. Ein weiterer Aspekt der Diskussion war der sorgfältige Umgang mit Begriffen. Ein Beispiel ist der Begriff der „Qualität“. Was ist damit gemeint? Die Qualitätsanforderungen an das Produkt, die den Rahmen für alle weiteren Schritte definierten, die Qualität der Vorbehandlung, des Dosierens oder die Qualitätssicherung des geklebten Produktes? „Qualität“ begleitet also die ganze Prozesskette als Querschnittsfunktion. Und ist der Begriff von Prozessketten noch richtig? Vielleicht sollte man – mit Blick auf eine Kreislaufwirtschaft, die kommen wird und muss – besser gleich von einem Prozesskreis sprechen, indem z.B. die Erfahrungen eines Projektes die nächsten besser machen. Der Mensch in all seinen Funktionen steht also beim Kleben im Mittelpunkt der Entwicklung. Deshalb ist eine Ausbildung gemäß DIN 2304 wichtig. Ebenso wichtig ist, dass Menschen für die Klebprozesse, inkl. ihrer Perspektiven und Stolpersteine, sensibilisiert werden und in relevanten Teams die jeweilige Lösung erarbeiten.
Wollen wir nicht lieber wieder schweißen?
Die Diskussion, die aufzeigte, dass es noch viele Klebprobleme gibt, mündet dann auch in die leicht resignative Frage aus dem Auditorium: „Wollen wir nicht lieber wieder schweißen?“. Die Antwort kam prompt: „Natürlich nicht, denn es wird schon vieles erfolgreich geklebt und die Technologie hat ein Potenzial, das Schweißen nie haben wird.“ Es ist nicht die Technologie, an sich, die zu Problemen führen kann, sondern der Mensch, der sie nutzt und handhabt. Das ist u.a. ein Kleber. Auch so ein schöner Begriff, denn der Kleber kommt nicht aus der Tube, er steht z.B. vor der Klebstelle. Die Bedeutung des Faktor „Mensch“ bestätigen auch Untersuchungen: Er ist heute Ursache für die meisten Fehler beim Kleben – nicht die Klebtechnologie.
Klebebänder brauchen Influencer
Der zweite Vortrag des Klebebänder-Forums im Anschluss an das Klebtechnikg-Forum widmete sich den Potenzialen von Klebebändern, die – wie wir letztes Jahr schon auf unserem Online-Forum festgestellt haben – im industriellen Einsatz Influencer brauchen. Sie brauchen sie in Bezug auf die DIN 2304, die natürlich auch für diese Klebtechnologie gilt. Auch bei Klebebändern gibt es die unterschiedliche Wahrnehmung von „Kopf“ und „Bauch“ – oft getriggert durch persönliche praktische Erfahrungen. Dies wurde eindrucksvoll an Instandhaltungsarbeiten an der Außenhaut eines Flugzeugs mit Klebebändern verdeutlicht. Bei den gezeigten Bildern brauchte man durchaus den „Kopf“ um den „Bauch“ beim Einsatz des Standes der Technik zu beruhigen. Und der Stand der Technik ist bei Klebebändern genauso wie bei Klebstoffen gegeben. Es gibt ein breites Angebot an industriellen Klebebändern für die unterschiedlichsten Aufgabenstellungen quer durch alle Branchen. Die Konfektionierungsmöglichkeiten bieten vielfältige interessante Lösungsansätze und auch das „Abfallthema“ bekommt man bei selbstklebenden Stanzteilen projektbezogen immer besser in den Griff. Ganz vermeiden wird man es nie können.
Auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit muss man sich keine Gedanken machen. Klebstellen mit Klebebändern werden heute genauso auf Beständigkeiten getestet wie alle anderen Klebstellen. Sie können simuliert werden und letztendlich ist die Frage: „Klebstoff oder Klebeband?“ nur projektabhängig zu bewerten. Die Diskussion zu diesem Thema zeigte, dass diese Fragestellung in der Praxis meist pragmatisch und projektabhängig beantwortet wird. Darüber hinaus wurde an verschiedenen Beispielen gezeigt, was Klebebänder leisten können.
Fazit
Nach drei Jahren war dieses Forum unser erstes Präsenzforum. Auch wenn sich Online-Foren in vieler Hinsicht bewährt haben, der Austausch in großen Diskussionsrunden, das Netzwerken in den Pausen und bei der verbindenden Abendveranstaltung der beiden Foren waren dann doch etwas Besonderes und haben allen erkennbar Spaß gemacht.
Das Präsenzformat bietet den Raum, tiefer in Themen einzusteigen und für aktuelle und zukünftige Fragestellungen zu sensibilisieren. Diese Sensibilisierung wird für das Kleben in Zukunft auch dahingehend wichtig werden, um „Kopf“ und „Bauch“ weiter zusammenzubringen. Denn es sind immer Menschen, die – mit dem richtigen Wissen und mit einer effektiven Kommunikation in großen Teams – eine funktionierende Verbindungstechnologie im Rahmen der jeweiligen Parameter optimal einsetzen: Dabei sollte der Vorteil, die Erfahrungen eines Teams im nächsten Klebprojekt nutzen zu können, nicht unterschätzt werden. Erfolgreiche Klebteams bestehen (wahrscheinlich) aus mehr Personen als wir sie oft denken.
Vielfach angesprochene Themen wie klebgerechte Konstruktionen oder qualitätssicheres Dosieren werden im nächsten Jahr in Online-Foren weiter vertieft. Und ans Schweißen muss man bei den vielen spezifischen Fragestellungen an eine leistungsfähige Verbindung der verschiedensten Materialien keinen Gedanken verlieren.
„Die Praxis zeigt immer wieder, dass automatisierte Dosierlösungen dann am wirtschaftlichsten sind, wenn die Systemanbieter früh in ein Projekt eingebunden werden.“ Norbert Heer, Sales Manager, RAMPF Production Systems GmbH & Co. KG
„Nachhaltigkeit ist auch, wenn Verbrauchsmittel wie Rotoren beim Dosieren mit drei- bis vierfachen Standzeiten zuverlässig funktionieren.“ Thomas Hochholzer, Vertriebsingenieur, ViscoTec Pumpen- u. Dosiertechnik GmbH
„Klebebänder sind eine Klebtechnologie, die im industriellen Einsatz noch längst nicht ihres Potenzials entsprechend eingesetzt wird.“ Dr. Evert Smit, Präsident, AFERA
„An Klebebänder werden die selben Anforderungen gestellt wie an Klebstoffe. Sie erfüllen diese – allerdings muss die Klebstelle ganzheitlich betrachtet werden.“ Peter Harendt, Head of Technical Marketing, Lohmann GmbH & Co. KG