14.03.2016 Grenzen und Möglichkeiten von Prüfverfahren
Teil 5: Zugversuch – Prüftechnische Grundlagen
Um die Funktion einer Dichtung sicherzustellen, werden diese und die jeweiligen Dichtungswerkstoffe verschiedenen Mess- und Prüfverfahren unterzogen. Doch was leisten die einzelnen Verfahren, wo sind die Grenzen? Diese Serie gibt Konstrukteuren, Einkäufern und Qualitätsmanagern einen Überblick über die üblichen Verfahren und Praxistipps zur Einordnung der Ergebnisse.
Beim Zugversuch werden genormte Prüfkörper (in den meisten Fällen „Schulterstäbe“) in eine Zugprüfmaschine eingespannt und mit konstanter Vorschubgeschwindigkeit bis zum Zerreißen gedehnt. Bei diesem Vorgang wird der Verlauf der benötigten Kraft und der Dehnung aufgezeichnet und daraus ein Zugdehnungsdiagramm erstellt. Wichtige Einzelkennwerte sind die Reißfestigkeit und -dehnung.
Sinn und Zweck der Zugversuchsprüfung
Die Zugversuchsprüfung liefert unter verschiedenen Aspekten praktischen Nutzen für den Anwender:
• Aussagen über die mechanische Belastbarkeit – Die Ergebnisse aus dem Zugversuch sind in vielen Fällen für den Konstrukteur auf den ersten Blick weniger von Interesse, da Elastomere nur selten dauerhaft auf Zugdehnung beansprucht werden. Jedoch darf nicht vergessen werden, dass es während des Montageprozesses zu großen Aufweitungen (> 100%) kommen kann. Außerdem ergibt eine hohe Reißdehnung bei stark verpressten Dichtungen eine höhere Sicherheit gegen Spannungsrisse. Sie verhindert nämlich, dass die Dichtung im Inneren aufgrund der hohen Verformung aufplatzt.
• Aussagen über die Mischungs- und Verarbeitungsqualität eines Werkstoffes – Nach Dick [1] erhält der Qualitätssicherer durch den Zugversuch Aussagen, ob der Compound gründlich gemischt und dispergiert wurde, ob Verunreinigungenv durch Fremdpartikel, wie z.B. Schmutzvoder Papier vorliegen, ob der Werkstoff über- oder untervernetzt wurde oder ob Porositäten vorliegen. Es ist nicht immer leicht herauszufinden, ob auftretende Probleme auf eine schlechte Mischungsqualität oder auf eine minderwertige Verarbeitungsqualität (z.B. beim Spritzgießen) zurückzuführen sind. Manchmal reicht hier der Zugversuch nicht. Schließlich ist es für den Praktiker noch bedeutsam zu wissen, dass Labor- bzw. Prüfplattenmischungen normalerweise bessere Zugfestigkeiten aufweisen als Mischungen im Produktionsmaßstab, da erstere gründlicher dispergiert sind.
• Aussagen über die Lebensdauer und mechanische und chemische Beständigkeit/Belastungsgrenzen von Werkstoffen (Alterung) – Um Aussagen über die Lebensdauer von Werkstoffen zu bekommen, werden gealterte Prüfstäbe mit produktionsfrischen verglichen. Die Alterung findet entweder durch Luft oder spezielle Prüfmedien (z.B. Öle, Kraftstoffe, Heißwasser usw.) bei erhöhter Temperatur statt. Hier interessieren in erster Linie die prozentualen Änderungen der Prüfparameter Zugfestigkeit und Reißdehnung, die eine Aussage über das Netzwerk abgeben. Die prozentualen Änderungen zeigen an, inwieweit das dreidimensionale Netzwerk beschädigt ist. Durch lange Prüfzeiten können auch Lebensdauerbelastungen simuliert werden.
• Werkstoffkenndaten für numerische Berechnungen – Im Gegensatz zu vielen anderen Werkstoffen ist die Berechnung von Elastomeren ein sehr komplexes Feld, da die Thermoviskoelastizität von Gummiwerkstoffen und wichtige andere Eigenschaften eines Compounds stark von der jeweiligen Mischung und Einsatztemperatur abhängen und rechnerisch nicht einfach zu erfassen und zu beschreiben sind. Um das Materialmodell einer Mischung zu erhalten, ist – je nach Fragestellung – eine umfangreiche Ermittlung der jeweiligen Werkstoffkenndaten notwendig. Dabei ist auch der Zugversuch – teilweise mit Temperierkammer – eines von mehreren wichtigen Prüfmethoden [2, 3].