Eine Gleichung mit mehreren Variablen

(Bild: Shutterstock/Scruggelgreen)

17.09.2018 Eine Gleichung mit mehreren Variablen

State-of-the-Art-O-Ringe entstehen aus einer ganzheitlichen Betrachtung – Erkenntnisse des O-Ring-Forums 2018

von Dipl.-Ing. (FH) Michael Krüger (C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG), Matthias Georg (OVE Plasmatec GmbH), Dipl.-Ing. Bernhard Richter (OPR Group GmbH), Dipl.-Ing. Arno Haude (Ohrmann GmbH), Oliver Wirth (Bareiss Prüfgerätebau GmbH)

„Der O-Ring ist eine Standard-Dichtung, über die man nicht viele Worte verlieren muss“. Dass diese – in  Praxis häufig anzutreffende – Einschätzung falsch ist, bestätigten die rd. 60 Teilnehmer und Referenten des Forums: „O-Ring – die meistgenutzte Dichtung im Spiegel aktueller Trends“, das am 20. und 21.06.2018 in Mannheim stattfand.

Um es vorwegzunehmen, der Einsatz von O-Ringen ist trotz ihrer Mio.fachen jährlichen Verwendung in vielen Anlagen und Produkten quer durch alle Branchen einerseits bewährter Stand, anderseits aber auch kein triviales Thema. Und noch etwas ist für O-Ringe typisch: Bernhard Richter, Geschäftsführer der O-Ring Prüflabor Richter GmbH und Mitveranstalter des Forums, wies deutlich darauf hin, dass Entwicklungen bei diesem Dichtungstyp i.d.R problemgetrieben seien. Erst wenn etwas nicht funktioniere, würde nach neuen Lösungen gesucht und diese i.d.R. auch gefunden. Das breite Themenspektrum der Vorträge machte aber deutlich, dass diese Lösungen u.U. nicht einfach zu finden sind, da die Vielfalt an Werkstoffen, ihre Vorbehandlung und Montage, die einzuhaltenden Normen in Abhängigkeit von der Branche, die Konstruktion der Dichtstelle, die Herkunft der Dichtung im Rahmen des Global Sourcings etc. eine Vielzahl von Variablen für die Auswahl des jeweils richtigen O-Ringes darstellen. Bei manchen Anwendungen kommt man zudem mit Berechnungen nicht zum Ziel, sondern nur über Versuche und Erfahrungswerte. Dipl. Ing. (TU) Anton Parzefall von der Dichtungstechnik Wallstabe & Schneider GmbH & Co. KG schilderte dies am Regenwurmeffekt. So wird die ungleichmäßige Längendehnung eines O-Ringes genannt, wenn er, z.B. bei einem Filterdeckel, durch Verschraubung in seine endgültige Position gelangt. In dieser Einbausituation kennt man die endgültige Form (unterschiedliche Dicke durch die Verschraubungskräfte) des Dichtringes nicht mehr und kann nur durch Tests und verschiedene Maßnahmen die Chance signifikant erhöhen, dass der O-Ring seine Funktion wie gewünscht erfüllt. In der Praxis hat man dieses Thema zwar im Griff, es zeigt aber, wie viel Ausdauer und vereintes Knowhow über die gesamte Wertschöpfungskette eines O-Ringes nötig sind, um mit O-Ringen in diesen Fällen erfolgreich abzudichten.

Die Norm regelt es
Jetzt kann man argumentieren, dass mit der ISO 3601 mit ihren fünf Teilen alles erledigt ist. Fazit der Veranstaltung war: Die Norm ist gut und das Beste, was wir haben – sie deckt aber nicht alles ab und wird auch nicht konsequent eingesetzt. In Anwendungsbereichen wie dem Hygienic Design kommt sie nicht zum Einsatz. Mit Blick auf den zuletzt veröffentlichten Teil 5, in dem erstmals die Werkstoffseite berücksichtigt wird, trat weitere Ernüchterung ein: Es gibt kaum O-Ringe nach diesem Teil der Norm, da sie anwenderseitig selten nachgefragt werden. Herstellerseitig sieht es wohl so aus, dass seriöse Hersteller die Norm eigentlich erfüllen, ihre Werkstoffe und Compounds jedoch nicht aufwändig prüfen lassen und dies vermarkten, da sich der Aufwand angesichts der geringen Nachfrage kaum lohnt. Ein klassisches Henne-Ei-Problem, das man öfter antrifft. Doch die Anwender hätten schon die Möglichkeit, über normgerechte Anfragen einen Prozess in Gang zu setzen.

Mit O-Ringen wachsenden Herausforderungen gerecht werden
Vorträge zur richtigen Auswahl des Werkstoffes, zur Dimensionierung des O-Ringes und Konstruktion einer Dichtstelle – hier war u.a. Hygenic Design in der Pharma- und Food-Industrie ein Thema – über die Veredlung von Dichtungen durch Beschichtungen, Überprüfung der Qualität durch unterschiedlichste Methoden bis hin zur Montage zeigten auf, wie viele Aspekte zu berücksichtigen sind, damit ein O-Ring erwartungsgemäß funktioniert. Beispiele aus verschiedenen Branchen zeigten darüber hinaus, wo die Herausforderungen – etwa durch höhere und tiefere Temperaturen, höhere Drücke, aggressivere Medien etc. – liegen und welche Ansätze hier derzeit verfolgt werden. Den weitesten Ausblick bot der mögliche Einsatz des synthetischen Alternativkraftstoffes OME als Alternative zum Diesel und seine Anforderungen an Dichtungen.

Darüber hinaus wurde sehr anschaulich, dass die Auswahl und Beschaffung von O-Ringen nichts mit dem Bestellen aus einem Katalog zu tun hat. Das geht erst, wenn ein O-Ring eine Freigabe erhalten hat. Was aber alles geprüft wird, um eine solche Freigabe bei einem Unternehmen, wie z.B. der Robert Bosch GmbH, zu erhalten, wurde eindrucksvoll erläutert. Auch bei der Beschaffung gibt es ja immer Überlegungen, günstiger in Asien zu beschaffen. Legt man aber ethische und/oder hoch qualitative Maßstäbe an, ist es im Einzelfall nicht so einfach und die nachhaltige Überprüfung keineswegs trivial.

Versagensgründe für O-Ringe
Den richtigen O-Ring für die jeweilige Anwendung zu finden, heißt also, eine Gleichung mit vielen Variablen zu lösen. Das funktioniert in vielen Fällen gut, sonst hätten wir sehr viel mehr Ausfälle. Aber es funktioniert auch mal weniger gut. Vor diesem Hintergrund hat das O-Ring Prüflabor Richter über 20 Jahre fast 1.400 Schadensfälle ausgewertet Bild 1. Das Ergebnis ist in zweierlei Hinsicht interessant: Die Hauptausfallursachen sind mechanisch/physikalische Schädigungen – mit leicht steigender Tendenz. Hier kann man sicherlich mit mehr Know-how auf seiten der Anwender und durch Nutzung des vorhandenen Know-hows über alle Stufen der Wertschöpfungskette ansetzen. Die Rückgänge der Schadensfälle bezüglich Temperatur/Alterung sowie Medien lassen sich durch die Verwendung von geeigneten Werkstoffen erklären. Eine Rolle spielen Herstellungsfehler, denn gerade sie sind im Vergleich der Zeiträume im Verhältnis um 37,5% bedenklich gestiegen. Über die Hintergrün-

de kann man jetzt trefflich spekulieren, aber das Sparen bei Stückkosten in Kombination mit Global Sourcing mit den vielen suboptimalen Erfahrungen, die hier schon gemacht wurden, könnten eine Begründung sein. Und das passt auch zur eigentlich bekannten Aussage, die Dipl.-Ing. Lothar Hörl vom IMA, in Erinnerung rief: “Wer an Dichtungen spart, spart nichts, das hat die Praxis gezeigt.“

Fazit
Die Themenvielfalt und tiefgehenden Vorträge gaben viele Impulse, wie und mit wem man „O-Ring-Gleichungen“ mit mehreren Variablen lösen kann. Es wurde aber auch deutlich, dass durch ein Unterschätzen des Themas und die Betrachtung eines O-Ring als C-Teil und/oder Katalogware – auch angesichts steigender Anforderungen der Applikationen, in denen O-Ringe zum Einsatz kommen– Probleme in der Praxis zunehmen werden.

Bild 1: Entwicklung von Schadensfällen über die letzten 20 Jahre (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Bild 1: Entwicklung von Schadensfällen über die letzten 20 Jahre (Bild: O-Ring Prüflabor Richter GmbH)

Dipl.- Verw. (FH) Matthias Georg, Leitung Vertrieb, OVE Plasmatec GmbH
„Eine Beschichtung macht O-Ringe deutlich leistungsfähiger und zahlt sich am Ende immer aus. Das freut auch Controller.“ Dipl.- Verw. (FH) Matthias Georg, Leitung Vertrieb, OVE Plasmatec GmbH
Dipl.-Ing. (FH) Michael Krüger, Entwicklungsleiter, C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG
„Die Liste der Anforderungen im Pharma- und Food-Bereich machen die Entwicklung und Herstellungen von O-Ringen zu einem hoch komplexen Thema. Hier werden u.a. auch Regelungen der ISO 3601 nicht akzeptiert, da sie u.a. den Anforderungen an das Hygienic Design nicht Rechnung trägt.“ Dipl.-Ing. (FH) Michael Krüger, Entwicklungsleiter, C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG
Dipl.-Ing. Bernhard Richter, Geschäftsführer, O-Ring Prüflabor Richter GmbH
„Erst wer die verfügbaren Potenziale in der Werkstofftechnik, der Prozesstechnik, der Normung und der Automatisierungstechnik ausschöpft, wird auf Dauer mit seinen Produkten wettbewerbsfähig bleiben.“ Dipl.-Ing. Bernhard Richter, Geschäftsführer, O-Ring Prüflabor Richter GmbH
Dipl.-Ing. Arno Haude, Vertriebsleiter, Ohrmann Montagetechnik GmbH
„Sichere, automatische Dichtringmontage ist das Ergebnis aus Erfahrung, Berücksichtigung unterschiedlichster Einflussfaktoren und stetiger Weiterentwicklung. Das gelingt am besten in Teamwork.“ Dipl.-Ing. Arno Haude, Vertriebsleiter, Ohrmann Montagetechnik GmbH
Oliver Wirth, Geschäftsführer, Bareiss Prüfgerätebau GmbH
„Das steigende Qualitätsbewusstsein in der Dichtungstechnik erfordert neue Wege bei fertigungsbegleitenden Messprozessen.“ Oliver Wirth, Geschäftsführer, Bareiss Prüfgerätebau GmbH

Lösungspartner

OPR Group GmbH
OVE Plasmatec GmbH
Bareiss Prüfgerätebau GmbH
Bareiss Prüfgerätebau GmbH

 

C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG
C. Otto Gehrckens GmbH & Co. KG

 

Ohrmann GmbH
Ohrmann GmbH

 

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Vertrieb