24.05.2019 Wunderland ist ausgebrannt
Deutsche Ingenieurskunst, ein zentraler „Rohstoff“ unserer Industrienation, vielfach unter dem Qualitätssiegel „Made in Germany“ subsumiert, war lange gefragt und geschätzt.
Viele Erfindungen gehen auf deutsche Ingenieure zurück – das Auto, das Fahrrad, die Glühbirne, der Radialwellendichtring – um einige Beipiele zu nennen. Auch auf Trendgebieten wie der Kraftwerkstechnik oder der Automatisierung und Automation sind bzw. waren wir führend. Bei aktuellen Trendthemen scheinen wir allerdings den Anschluss zu verlieren. Gut, wir können anscheinend keine Flughäfen bauen, geschenkt. Aber auch bei der E-Mobility hinken wir in einer unserer Schlüsselbranchen hinterher. Und bei der Digitalisierung – o.k. lassen wir das.
Diese Entwicklung wirft für mich die Frage auf, welche Schwerpunkte wir setzen. Klar, in den Unternehmen machen dies Führungskräfte und Konstrukteure/Entwickler mit technischen Weiterentwicklungen, von der unsere Exportnation seit Jahrzehnten sehr gut lebt. Die Politik setzt die Rahmenbedingungen. Egal, wie man dies jetzt in einzelnen Ländern bewerten will. Amerika gibt mit „Make America great again“, China mit den staatlich abgesegneten Zukäufen von Technologieunternehmen in Europa oder mit dem Seidenstraßen-Projekt einen Rahmen vor. Selbst unser kleinerer Nachbar Östereich, den wir meist nur unter Urlaubsaspekten wahrnehmen, hat eine Strategie. Die Bundesregierung von Österreich will ihr Land zum Innovations-Leader und führenden Wirtschaftsstandort in Europa machen. Hierfür wurde ein umfassendes Programm verabschiedet. Schwerpunkte sind u.a. die steuerliche Entlastung der Unternehmen, Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Digitalisierung und Entbürokratisierung. Last, but not least soll die unternehmerische Forschung gezielt gefördert werden. Die bisherigen Forschungsausgaben von 3,09 % – die zweithöchste Forschungsquote in Europa – soll auf 3,76 % steigen. Die Zahlen muss man jetzt nicht überbewerten – entscheidend sind die Strategie und das Commitment zu einem Ziel.
Und bei uns – womit beschäftigen wir uns? Die erkennbaren Anflüge von Wirtschaftspolitik werden bestenfalls wohlwollend als veraltet kommentiert. Es macht sich das lähmende Gefühl von Stillstand oder sogar Rückschritt breit. Unsere Regierung scheint überwiegend mit der Verteilung sozialer Wohltaten beschäftigt. Meldungen, dass die Konjunktur schwächer wird, die E-Mobility zu einer massiven Veränderung einer Schlüsselbranche führen wird, dass für eine Digitalisierung und damit Industrie 4.0-Entwicklung schlicht die Infrastruktur fehlt, scheint niemanden groß zu stören. Verfolgt man die Medien, dann gibt es zwar jede Menge Absichtserklärungen, die man aber kaum noch ernst nimmt, weil keine Entwicklung spürbar ist. Parallel dazu diskutieren wir auf vielen Kanälen mit Leidenschaft Themen wie die genderkonforme Sprache und investieren in weitere Toiletteneingänge. In Nordeuropa ist man hier pragmatischer. Es gibt nur eine Toilette für alle, unabhängig vom Geschlecht. Apropos genderkonform – der O-Ring ist doch sicher zu maskulin belegt? –... die/das O-Ring? – klingt eher ungewohnt –... O-Ring* – ich weiß auch nicht. Klar übertreibe ich an der Stelle und das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Ich vermisse nur zunehmend eine priorisierte Einordnung der relevanten Themen. Wir brauchen eine aktive, fördernde Wirtschaftspolitik, denn wenn wir irgendwann keine innovativen Produkte mehr haben, die wir exportieren können, müssen wir vielleicht u.a. erneut vom Dichten und Denken leben. Dies kann kulturell eine Bereicherung sein, satt macht es wahrscheinlich nicht.