Wissen Sie, wo Ihr NK herkommt? Nein? Sollten Sie aber.

(Bild: AdobeStock_ TWAWISAK)

17.11.2023 Wissen Sie, wo Ihr NK herkommt? Nein? Sollten Sie aber.

von Karl-Friedrich Berger (ISGATEC GmbH)

Am 29.06.2023 trat die Verordnung (EU) 2023/1115 in Kraft. Um was geht es hier? Die Verordnung regelt die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union.

Warum gibt es diese Verordnung? Hintergrund ist der Schutz der Wälder und ihrer Biodiversität. Die Rechtsvorschriften umfassen aber auch den Schutz indigener Völker, die Einhaltung der Menschenrechte und ergänzen noch nicht ausreichend ausgeführte Steuer-, Antikorruptions-, Handels- und Zollvorschriften.

Inwiefern betrifft das die Dichtungsbranche? Hier wird u.a. der Umgang mit Naturkautschuk (NK) geregelt, der ja trotz aller Hochleistungswerkstoffe in der Dichtungstechnik immer noch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Die hier gemachten Vorgaben sind bis zum 30.12.2024 umsetzen, kleine und mittlere Unternehmen haben bis zum 30.06.2025 „Zeit“. Unter die Verordnung fallen Produkte aus NK oder solche, in denen NK enthalten oder verarbeitet wurde – also Dichtungen aus NK-Platten, O-Ringe, Bälge, Profile, Streifen und andere Formteile, die aus NK bestehen oder bei denen Naturkautschuk ein Mischungsbestandteil ist, um z.B. das Rückfederungsverhalten, die Rückprallelastizität oder Reißfestigkeit des Endproduktes zu verändern. Bei Schäumen ist die Lage derzeit noch diffus.

Wie reagiert man darauf? Einem ersten Impuls folgend, könnte man sich entscheiden, zukünftig keine NK-Produkte mehr anzubieten. Aber dieses Vorgehen funktioniert nicht, da die Verordnung auch bei geringsten Mischungsanteilen bzw. auch beim Verkauf einer einzigen Dichtung aus Naturkautschuk. greift, wäre das ein großer Einschschnitt in viele Dichtungsangebote am Markt.

Was muss man tun und dokumentieren, um NK verordnungskonform einzusetzen? Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Verordnung weit über die Vorgaben des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, das in der Umsetzung schon einiges an Kopfzerbrechen bereitet, hinausgeht. Bietet ein Händler, Hersteller Produkte aus NK oder mit NK an, muss nachgewiesen werden, dass der Rohstoff nicht aus Gebieten stammt, in denen Waldschädigung oder Entwaldung geschah. Dafür sind die Geolokalisierungsdaten nachzuweisen. Ansonsten darf das Produkt nicht in den Verkehr gebracht werden. Ebenso muss sichergestellt und dokumentiert werden, dass der Rohstoff im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes gewonnen wurde. Zudem muss eine Sorgfaltserklärung vorliegen, die fünf Jahre aufzubewahren ist.

Hier verstehe ich die Welt der Vorschriften nicht mehr: Ein Kautschuk-Baum muss sieben Jahre wachsen, bevor er angezapft werden kann. warum sollte man dies Invest abholzen wollen.

Kann man das nicht einfach ignorieren? Man könnte versucht sein, all das nicht zu beachten, aber die Verordnung beinhaltet leider keine Regelung, die „Gutgläubige“ schützt. Die Sanktionsinstrumente bei Nichtbeachtung sind umfangreich. Sie reichen von Beschlagnahme und Rückruf bis zu Bussgeldern von bis zu 4% des Jahresumsatzes oder auch höher. Zudem steht man am Pranger – das Unternehmen wird veröffentlicht. Dazu kommt, dass die Verordnung es auch Interessensverbänden und Wettbewerbern erleichtert, Missstände offenzulegen. „Abmahnvereinen“ wird so Tür und Tor geöffnet. Juristen empfehlen derzeit ausdrücklich, beim Fehlen der Geolokalisierungsdaten die Produkte nicht in den Verkehr zu bringen, sie bereitzustellen oder auszuführen.

Wie gehen Handel und Hersteller jetzt in der Praxis damit um, wenn ein Kunde zehn Naturkautschukteile nach Zeichnung benötigt oder 20 Streifen aus einer NK/SBR-Mischung zu liefern sind? Unabhängig von der Menge müssen die Geolokalisierungsdaten ermittelt, die Einhaltung der Rechte geklärt und eine Sorgfaltserklärung vorgelegt werden. Es wird sich meines Erachtens schnell zeigen, dass der notwendige Aufwand in diesen Fällen zumeist in keiner Relation zum Umsatz steht, sodass ein Auftrag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder zu einem sehr hohen Preis bearbeitet werden wird. Diese Regelung erschwert eindeutig kundenindividuelle Teile, insbesondere bei geringen Stückzahlen.

Noch problematischer und aufwändiger wird es z.B. bei Teilen, in denen NK Bestandteil einer Mischung ist, die oft dem Betriebsgeheimnis unterliegt. Da die Verordnung keine Mengenfreigabe beinhaltet, müsste dies deklariert und alle weiteren Daten bereitgestellt werden. Es ist zu erwarten, dass hier eine Flut von Nachfragen auf die Hersteller und Verarbeiter hereinstürzt.

Die Aus- und Weiterbildung der im Einkauf oder Verkauf Aktiven muss um eine weitere Komponente ergänzt werden. War es bisher schon anspruchsvoll, die technisch und wirtschaftlich beste Lösung anbieten, muss nun darauf geachtet werden, dass bei Anfragen – und insbesondere bei Aufträgen – die bestehenden Vorgaben der (EU) 2023/1115, des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, der Elastomerverordnung, ROHS, REACH etc.eingehalten und dokumentiert werden. Ich habe meine Zweifel, dass dies im erforderlichen Maß möglich ist. Das Ziel der Verordnung ist ursprünglich, die Wälder zu schützen und die Biodiversität zu erhalten. In der jetzigen Form wird es aus meiner Sicht dazu führen, dass man – wo immer möglich – die Verwendung von Naturkautschuk meidet, denn der dann notwendige Aufwand ist abschreckend.

Karl Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH
„Schlimmer geht immer – dieser Spruch wird derzeit mit immer neuem Leben gefüllt.“ Karl Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH

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Einkauf, Konstruktion & Entwicklung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung