03.06.2019 Wenn Compounds eine Blackbox sind
Was bei der Beschaffung von Dichtungen und Formteilen beachtet werden sollte
Viele Compounds sind eine Blackbox. Das gilt z.B. schon für Gummi, schwarz, 70 Shore. Dass dies so ist, bedeutet in der Praxis durchaus Risiken. Dennoch hat sich das Problembewusstsein der Einkäufer und Qualitätsmanager genauso wenig wie die Transparenz seitens der Lieferanten in den letzten Jahren geändert.
Im Gegensatz zu Kunststoffen und thermoplastischen Elastomeren bestehen Mischungen für Elastomerteile aus einer Vielzahl von Komponenten, die für die technischen Eigenschaften der Endprodukte, aber auch die Verarbeitungsgeschwindigkeit verantwortlich sind. So sind teilweise mehr als 15 Mischungskomponenten für einen Compound notwendig. Jede Veränderung – auch die nur einer Komponente – kann zum Versagen, z.B. einer Dichtung, führen. Vielen Endkunden ist nicht ansatzweise bewusst, welche Risiken in Bezug auf die Funktionstüchtigkeit mit der Zusammensetzung eines Compounds verbunden sind. Ein Blick auf die Prozesskette verdeutlicht dies.
Kleine Veränderung, große Wirkung
In chemischen Werken werden synthetische Kautschuke hergestellt. Diese Kautschuke stellen mit ca. 40 % den Hauptbestandteil einer Mischung und geben chemisch und mechanisch die Richtung der Verwendungsmöglichkeiten, z.B. einer Dichtung oder eines Formteiles vor. Doch welcher Anwender weiß, welcher Kautschuk in welcher Zusammensetzung in „seiner“ Mischung ist? Selbst die Definition eines Handelsproduktes eines Markenherstellers bietet keine endgültige Sicherheit – auch nicht in rechtlicher Hinsicht. So würde z.B. im Worst-Case einer Produkthaftung diese Information nicht ausreichen, wenn nicht die Type der Marke definiert ist. Oder wer kennt von einem verwendeten EPDM-Formteil den Dien-Anteil? Ein hoher Dien-Gehalt erhöht die Vernetzungsgeschwindigkeit und beschleunigt damit den Produktionsprozess, reduziert aber die Alterungs-, Witterungs- und Ozonbeständigkeit. Gravierende Auswirkungen hat z.B. auch der Acrylnitrilgehalt in NBR-Mischungen.
Diese Aspekte beziehen sich nur auf eine einzelne Komponente der Mischung – es sind aber noch andere zu berücksichtigen. So werden Compounds z.T. mit Weichmachern, i.d.R. Mineralöl, gestreckt, d.h. preisgünstiger gemacht. Dies verbessert zwar die Tieftemperaturflexibilität, aber unter Hitzeeinwirkung wandern die Weichmacher aus dem Werkstoff, was zur Verhärtung führt. Durch das geringere Volumen kann sich der notwendige Anpressdruck reduzieren und die Dichtung versagen. Jede Komponente ist somit ein entscheidender Bestandteil einer Mischung und jede Änderung, jeder Austausch auch nur einer Komponente, kann zum Versagen des Systems und/oder des Produktes führen.
Mögliche Folgen – ein Praxisbeispiel
Ein chemisches Unternehmen hat in seinen Anlagen über Jahre EPDM-Dichtungen verwendet. In der Vergangenheit wurde die Anlage turnusmäßig nach sechs Monaten heruntergefahren und die Dichtungen ausgetauscht. Aus zuerst nicht nachvollziehbaren Gründen reduzierte sich die Anlagenverfügbarkeit zuletzt auf drei Monate. Dies bedeutete – über das Jahr gesehen – einen Kostenanstieg um ca. 600.000 €. Bei der Analyse der möglichen Ursachen wurde zuerst der Produktionsprozess des Dichtungsherstellers auf den Prüfstand gestellt. Es zeigte sich aber, dass dies nicht die Ursache für die geringere Haltbarkeit sein konnte. Danach richtete sich die Aufmerksamkeit auf den Mischungslieferanten. Hier kam zunächst das Feedback, dass sich am grundsätzlichen Mischungsaufbau nichts geändert habe. Eine genauere Auskunft gab es zunächst nicht, was aber nicht ungewöhnlich ist. Es ist immer noch eine Strategie einiger Mischungshersteller, keine Auskunft über den genauen Mischungsaufbau – mit dem Hinweis auf Betriebsgeheimnisse – zu geben. Im konkreten Fall ließ man nicht locker und es stellte sich heraus, dass – u.a. bedingt durch REACH – einige Mischungsbestandteile ausgetauscht worden waren. Nicht der Mischungsaufbau, d.h. die Zusammensetzung und Relation der Komponenten, hatte sich geändert, sondern einzelne Bestandteile wurden ersetzt, ohne jedoch hiervon den Verarbeiter – und im Endeffekt den Betreiber der Anlage – zu informieren. Die Folge war, dass das ursprünglich verwendete EPDM nicht mehr verwendet werden konnte und man nun auf eine deutlich teurere Mischung aus Fluorelastomer zurückgreifen musste. Um solchen Ärgernissen und Unvorhersehbarkeiten zukünftig zu begegnen, wurden daraufhin mit dem Verarbeiter und dem Mischungslieferant Vereinbarungen getroffen, dass bei jeder Änderung, auch nur eines einzigen Bestandteils der Mischung, der Endkunde darauf und auf mögliche Auswirkungen auf die mechanischen und chemischen Verhaltensweisen des Produktes hinzuweisen ist.
Die ganze Fertigungskette beachten
Die Mischungszusammensetzung ist aber nicht das einzige Risiko für die ordnungsgemäße Funktion von Elastomerteilen. Die Mischungsherstellung selbst birgt weitere Risiken – insbesondere bei der Beschaffung von Teilen aus nicht hochtechnologisch arbeitenden Regionen. In Europa werden – ausgelöst durch die zunehmende Spezialisierung – Mischungen fast nur noch von wenigen, zumeist mit vollautomatischen Mischungsanlagen ausgerüsteten Compoundern geliefert. Dies wirkt sich vorteilhaft auf die Qualität der Compounds aus. Anders sieht es z.B. in Asien aus. Hier stellen viele Verarbeiter ihre Mischungen noch selbst her. Man findet hier – von der reinen Handarbeit bis zum Vollautomaten – alle Herstellungsvarianten. Je mehr Handarbeit im Prozess anfällt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Mischungen von Fall zu Fall voneinander abweichen. Die möglichen Folgen sind, wie das Praxisbeispiel zeigt, nicht zu unterschätzen.
Ein weiteres Risiko ist die begrenzte Lagerfähigkeit von fertigen Mischungen. Im Gegensatz zu Kunststoffmischungen wird durch den Mischungsprozess beim Compoundieren ein reaktives System geschaffen, das ab der Fertigstellung der Mischung auf Temperatur und sonstige Umgebungseinflüsse reagiert. Hier kommt der Logistikkette und dem Nachweis der einzelnen Stufen eine zentrale Bedeutung zu. Wie lange lagert der Mischungshersteller den Compound? Wie wird die Mischung vom Mischungshersteller zum Verarbeiter geliefert? Wie lange und wie lagert der Verarbeiter die Mischung, bis die Formteile oder Dichtungen hergestellt werden? Jede unsachgemäße und zu lange gelagerte Mischung birgt die Gefahr von abweichenden mechanischen Werten in sich. Als Abnehmer, Verarbeiter von Elastomerteilen ist es daher sehr ratsam, auch die vorgelagerten Compounder zu kennen und deren Prozesse qualitativ bewerten zu können.
Prüfen und genau spezifizieren
In Abhängigkeit vom Mengenvolumen und z.B. dem Teilerisiko ist daher durchaus anzuraten, Mischungen vor der Verarbeitung durch ein unabhängiges Institut oder Labor, z.B. spektralanalytisch, untersuchen zu lassen und nur bei vergleichbaren Werten mit dem „Ursprungs-Compound“ eine Freigabe für die Verarbeitung zu geben. Grundlage für eine Absicherung hinsichtlich der Qualitätskonstanz ist aber in allen Fällen eine genaue Spezifikation der Dichtungen in den Zeichnungen. Hier gibt es noch viel zu tun, denn in vielen Zeichnungen findet man heute Definitionen, wie z.B. NBR 70 Shore, ohne weitere technische Konkretisierungen. Qualitätsschwankungen und daraus resultierenden Risiken sind so Tür und Tor geöffnet.
Fakten für Konstrukteure
• Die Spezifikation NBR 70 Shore ohne weitere technische Konkretisierungen ist keine ausreichende Information
• Verschiedene Werkstoffe wie Silicone und FKM sind weniger von diesen Compound-Problemen betroffen, da sie aus weniger Komponenten hergestellt werden
Fakten für Einkäufer
• Es lohnt sich, genau hinzuschauen, woher die Compounds letztendlich kommen. Qualität kann auch aus Asien kommen, aber mit vielen Unterlieferanten, bei Compounds aus manueller Fertigung und einer nicht klar nachvollziehbaren Logistikkette ist das Qualitätsrisiko deutlich höher als bei Compounds aus vollautomatischen Fertigungen von Spezialisten aus Europa
Fakten für Qualitätsmanager
• Bei großem Mengenvolumen und/oder einer großen funktions- und/oder sicherheitsrelevanten Bedeutung von Dichtungen oder Formteilen empfiehlt es sich, Mischungen durch ein unabhängiges Institut oder Labor untersuchen zu lassen und nur bei gleichen Werten wie bei dem „Ursprungs-Compound“ eine Freigabe für die Verarbeitung zu geben