Was tun wir eigentlich – und was sollten wir tun?

Nachhaltigkeit

08.09.2023 Was tun wir eigentlich – und was sollten wir tun?

von Dr. Evert Smit (Afera, The European Adhesive Tape Association)

Anfang Mai war ich eingeladen, auf der Tape Week des American Pressure Sensitive Tape Council in Orlando einen Vortrag zu halten – eigentlich hielt ich zwei. Die Konferenz stand unter dem Motto „Sustainability – Creating Awareness“ (Nachhaltigkeit – Bewusstsein schaffen). Dieser Titel an sich ist schon eine ziemliche Aussage, wenn man bedenkt, dass wir uns im Jahr 2023 befinden.

Mein erster Vortrag im Namen von Afera befasste sich mit der Frage, wo die Klebebandindustrie in der EU steht und wohin sie sich in Bezug auf das weit gefasste Thema der Nachhaltigkeit entwickelt. Der zweite Vortrag bestand darin, Beispiele aus dem Unternehmen für das ich arbeite, vorzustellen. Das Feedback lautete vielfach: „Ihr seid uns 10 bis 20 Jahre voraus.“ Wie es sich für mich gehört, habe ich angeboten, den Weg zur Sustainability gemeinsam zu gehen. Dann nahmen die Gespräche aber eine andere Wendung: In vielen Fällen ging es schnell darum, wie wir den „Wettbewerbsvorteil“ bewahren könnten, wenn wir dies als Branchenverband, regional oder sogar weltweit tun würden. Das hat mich nachdenklich gemacht, und ich habe mir Gedanken über die tieferen Gründe für diese Sorge bzw. diesen Denkansatz gemacht. Denn das höre ich auch hier in Europa, und zwar sehr oft. Woher kommt das? Ich will hier keine Schuldzuweisung machen, aber ich kann diesen Denkansatz weitgehend auf eine bestimmte Gruppe – wahrscheinlich immer noch die größte Gruppe – von Branchenführern zurückführen. Und ich fürchte, dass wir noch in (den letzten Tagen?) der neoliberalen Wirtschaftsschule stecken. Doch sind wir mal ehrlich: Die Welt entwickelt sich weiter – mein Credo, seit ich diese Kolumne schreibe. Und die jüngere Generation versucht, ein neues, besseres Gleichgewichtzwischen Rentabilität und Nachhaltigkeit zu finden [1]. Sie distanziert sich von einer Sichtweise, bei der nur die wirtschaftlichen Ergebnisse zählen. Für mich ist das übrigens ein jämmerliches Weltbild. Denn: Sinn, Zweck, Zukunft unserer Aktivitäten – auch der Gestaltung unserer Wirtschaft – ist das, was uns
eine Perspektive eröffnet. Wir müssen aufhören, zu versuchen, die Welt in Tabellenkalkulationen, Stundenzetteln, Gewinn- und Verlustrechnungen, Stage-Gate-Modellen, 2 x 2- oder 3 x 3-Matrizen und GANTT-Diagrammen so zu vereinfachen, dass wir glauben, wir könnten die Komplexität der realen Welt fassbar machen. Unsere mechanistische und allzu einfache Sicht auf die Welt befeuert die Illusion von Messbarkeit und Social Engineering der Welt – einer Idee, die sich ab den 1970er-Jahren durchsetzte und seitdem ihr „Unwesen“ treibt. Und das führte erkennbar zu vielen der ökologischen und gesellschaftlichen Probleme, die wir heute erleben. Auch in der Politik werden die nachteiligen Auswirkungen immer deutlicher. Also: Nein, wir kommen um einen ganzheitlicheren und deutlich größeren Ansatz nicht mehr herum. In meinen beiden Vorträgen habe ich die bekannte Maslow-Pyramide vorgestellt und aufgezeigt, wo die „Sorge um die Umwelt“ oft platziert wird: ganz oben, während sie meiner Meinung nach ganz unten sein sollte. Und warum? Ganz einfach, weil wir ohne einen gesunden Planeten nicht leben können. So einfach ist das. Ohne ihn sind selbst die grundlegendsten Bedürfnisse wie Nahrung nicht mehr vorhanden. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass das ganze Bewusstsein für die Auswirkungen unseres „Fleißes“ auf z.B. das Klima schon vor 111 Jahren vorhanden war [2]. Mein Fazit: Wir haben genug, mehr als genug. Doch was machen wir jetzt? – der Neoliberalismus sagt ja nicht einfach: „Ok, ich habe verstanden, das war die falsche Richtung.“ Er ist da und wirkt. Die Frage ist, wie wir die not- wendige Transformation so gestalten, dass viele Menschen mitgehen können. Einen Masterplan sehe ich diesbezüglich noch nicht. Wir sind – leider sehr spät – an dem Punkt, um für dieses Thema zu sensiblisieren, an jeder Stelle den Diskurs zu fördern und mit Willigen an Modellen, Lösungen und Perspektiven zu arbeiten. Erst diese werden die heute Unwilligen vielleicht überzeugen, ihre Komfortzone zu verlassen und sich uns anzuschließen.

Evert Smit, Präsident, AFERA
Der Diskurs zentraler Themen ist wichtig und muss auch in den Unternehmen jenseits von Geschäftszahlen geführt werden. Evert Smit, Präsident, AFERA

Lösungspartner

Afera, The European Adhesive Tape Association
Afera, The European Adhesive Tape Association

 

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung, Vertrieb