TPE gegen Kopfschmerzen

Dichtungsringe aus TPE (Bild: F.W. Breidenbach GmbH & Co. KG)

04.06.2018 TPE gegen Kopfschmerzen

Oder ein Mittel gegen die Elastomerleitlinie, die der Dichtungsindustrie auch die nächsten Jahre Probleme bereitet

von René de Beer (De Beer Breidenbach GmbH & Co. KG)

Seitdem das Umweltbundesamt (UBA) 2011 die Leitlinie zur hygienischen Beurteilung von Elastomeren im Kontakt mit Trinkwasser (kurz Elastomerleitlinie) beschlossen hat, gibt es eine klare, aber bisher noch nicht gemeisterte Herausforderung: Wie produziert man ein Elastomer, das nach der UBA-Elastomerleitlinie für Trinkwasser zugelassen wird?

Die Elastomerleitlinie enthält eine Positivliste mit zugelassenen Ausgangsstoffen, die man zukünftig nur noch für eine Mischung verwenden darf. Um der Industrie einen reibungslosen Übergang zu ermöglichen, gibt es einen 2. Teil der Positivliste mit noch nicht vollständig bewerteten Substanzen, die man aber unbedingt für die Herstellung eines Elastomers benötigt. Ziel des UBA ist, bis Ende 2021 eine erforderliche Anzahl an Rohstoffen toxikologisch zu bewerten, um die Positivliste ausreichend zu ergänzen.

Noch keinen Schritt weiter
Seit der Veröffentlichung der Elastomerleitlinie wurde aber bisher noch kein einziger Ausgangsstoff aus dem 2. Teil der Positivliste in den Teil 1 überführt. Nach heutigem Stand kann man noch keine Elastomere aus den Substanzen der Positivliste Teil 1 herstellen. Ursprünglich war eine Übergangsfrist von fünf Jahren – also bis Ende 2016 – vorgesehen, nach der dann nur noch Substanzen aus der Positivliste 1 verwendet werden dürfen. Diese Übergangsfrist wurde aber bereits bis Ende 2021 verlängert. Über die Gründe für diese Entwicklung kann man nur spekulieren – allerdings scheint derzeit das Interesse bzw. die Bereitschaft der Industrie, für die Bewertung eines Rohstoffes Entwicklungs- und Prüfungsaufwände im hohen sechsstelligen Bereich zu investieren, nicht besonders groß.

Ein Material ist kein Material
So kann es durchaus zu folgendem Szenario kommen: Ab Ende 2021 ist – trotz der zehn Jahre Übergangsfrist – kein Elastomer entwickelt bzw. erforscht, welches für Trinkwasser-Anwendungen freigegeben werden kann. Und wenn, dann reicht ein Werkstoff nicht aus, um die heutige Vielfalt an Compounds zu ersetzen. Über Jahrzehnte wurden unzählige spezielle Compounds für spezifische Anwendungen entwickelt. Der Gedanke, dass man diese mit einem oder zwei universellen Compounds ersetzen kann, ist eher unrealistisch bzw. utopisch.

Außerdem ist in diesem Szenario bzw. eigentlich in jedem Fall mit einer erheblichen Kostensteigerung bei Elastomererzeugnissen zu rechnen. Denn die Entwicklungskosten können nur durch einen relativ kleinen Bedarf an Tonnage amortisiert werden.

Die Umstellung von Gummiauf TPE-Dichtungen bietet Vorteile
Die neue Elastomerleitlinie zwingt die Hersteller, alle bestehenden Werkstoffe neu zu zertifizieren – und dies bereits in der Übergangsphase. Damit bietet sich die Gelegenheit, den Sinn und Zweck von gewissen Elastomererzeugnissen neu zu überprüfen. Alles wird also neu auf den Prüfstand gestellt.

Dies eröffnet Chancen für alternative Werkstoffe, wie z.B. thermoplastische Elastomere. Über die gesamte Bandbreite der Elastomerprodukte sieht man die Tendenz, dass TPE »1 als Ersatzwerkstoff nach vorne rückt und Gummi ersetzt. Gerade im Trinkwasserbereich gibt es dafür viele Argumente.

Grundsätzlich bietet TPE in der Verarbeitung diverse Vorteile gegenüber Gummi. Da TPE ein Thermoplast ist, lässt sich der Werkstoff effizient im Kunststoff-Spritzgussverfahren mit kurzen Zykluszeiten und ohne Produktionsabfälle verarbeiten.

In Hinsicht auf die Verwendung im Trinkwasserbereich gibt es aber einen weiteren Vorteil: Die gängigsten thermoplastischen Elastomere – auf SEBS basierende TPE-S-Typen – werden als Kunststoff betrachtet und unterliegen somit, im Gegensatz zu Elastomeren, der KTW-Leitlinie.

Bei der Elastomerleitlinie lässt sich aktuell nicht abschätzen, wo der Weg hingeht. Im äußersten Fall gibt es ab Ende 2021 keine Gummidichtungen mehr. Für die KTW-Leitlinie sind aktuell keine grundlegenden Veränderungen vorgesehen und somit bietet diese Leitlinie Planungssicherheit.

Ein weiterer Vorteil von TPE ist, dass das Material 100% PAK-frei ist. PAK (Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe) sind vermeintlich krebserregende Molekülverbindungen, die in Elastomeren fast immer im gewissen Maße enthalten sind. PAK entstehen bei unvollständiger Verbrennung und sind in Ruß oder teilweise in Weichmacherölen enthalten, die als Füllstoffe für Gummi verwendet werden. Auch während des Vulkanisationsprozesses von Elastomeren können PAK entstehen. Der Markt legt immer größeren Wert darauf, dass PAK vermieden werden, wozu der Werkstoff TPE einen großen Teil beiträgt.

Rechtzeitig anfangen
Wenn man zukünftig TPE nutzen will, sollte man sich aber auch über die Unterschiede zu Elastomeren im Klaren sein. Da TPE ein Thermoplast ist, ist der Temperatur-Einsatzbereich eingeschränkter. Obwohl es TPE-Typen gibt, die in einem Temperaturbereich von 130 bis 140 °C einsetzbar sind, werden die für Trinkwasser zugelassenen Compounds bisher nur für Warmwasser (KTW prüft mit 60 °C) zugelassen. Für Heißwasser (KTW: 85 °C) ist TPE also noch nicht geeignet.

Auch sind die mechanischen Eigenschaften nicht identisch, obwohl manche TPE-Typen mittlerweile einen recht guten Druckverformungsrest aufweisen, verhält sich das Material anders als z.B. EPDM. Für einfache, statische Anwendungen wie Flachdichtungen mag das kein Problem sein, aber dynamische Dichtungen oder Membranen sind vielfach nicht eins zu eins nachzubauen. Durch geometrische Optimierungen möchte man die Defizite auffangen. Dies fordert neben einem Umdenken und Umkonstruieren in der Geometrie auch eine Menge an Erfahrung bei der Verwendung dieser Art von Werkstoffen.

Die Empfehlung ist daher, möglichst früh in den Migrationsprozess einzusteigen, denn nur so kann eine böse Überraschung am 01.01.2022 vermieden werden.

Fakten für Konstrukteure
• Trotz vieler Vorteile gibt es noch nicht für alle Anforderungen im Trinkwasserbereich eine TPE-Lösung. Mit Blick auf den 01.01.2022 sollte deshalb frühzeitig nach entsprechenden Lösungen gesucht werden

Fakten für Einkäufer
• Nach der Elastomerleitlinie zugelassene Dichtungswerkstoffe werden auf jeden Fall teurer, wenn sie überhaupt fristgerecht zur Verfügung stehen

Fakten für Qualitätsmanager
• Sich nicht frühzeitig mit alternativen Lösungen auseinanderzusetzen, bedeutet im Zweifelsfall, Qualitätsrichtlinien nicht mehr einhalten zu können

Kontakt zum Autor

Informationen zum Seminar Thermoplastische Elastomere (TPE) – innovative Werkstoffe formen die Zukunft, Termin: 14.11.2018

Lösungspartner

De Beer Breidenbach GmbH & Co. KG
De Beer Breidenbach GmbH & Co. KG

 

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung