16.09.2019 Technische Sauberkeit für Elastomerdichtungen
Ein Konflikt zwischen Anforderungen, Dichtungseinsatz und wirtschaftlicher Umsetzbarkeit
Die technische Sauberkeit ist in der Automobilindustrie unabdingbar. Downsizing, Umweltanforderungen und Gesetzesvorgaben führen zur Entwicklung immer leistungsfähigerer und effizienterer Komponenten. Die Empfindlichkeit gegenüber Schmutzrückständen steigt dadurch weiter an. Zur Erfüllung der Sauberkeitsanforderungen müssen zumeist Reinigungsprozesse eingeführt werden – mit entsprechenden Folgen. Produkteigenschaften werden vor allem bei elastomeren Dichtungen durch Reinigungsprozesse verändert, wodurch das Handling erschwert wird und die Kosten ungeplant ansteigen.
Die Anforderungen im Automobilbau steigen seit Jahren. Umweltauflagen und Gesetzesvorgaben erfordern immer wieder höhere Leistungen von Ingenieuren. Die Komponenten werden kleiner, Materialien müssen geändert werden. Als Folge steigt die Empfindlichkeit der Komponenten wie Dichtungen gegenüber Verschmutzungen. Partikel-Verunreinigungen können dabei zu unterschiedlichen Schadensbildern führen. So z.B. zu verstopften Ventilen, Riefenbildung, beschädigten Lagerungen bis hin zu verkürzter Lebensdauer der Bauteile. Zunehmend werden daher viele der verwendeten Bauteile mit entsprechenden Sauberkeitsanforderungen belegt. Oft ist dadurch mit steigenden Kosten zu rechnen, die sich vor allem bei C-Teilen empfindlich bemerkbar machen können.
Umsetzbarkeit der technischen Sauberkeit für elastomere Dichtungen
Dichtungen aus Standard-Produktionsprozessen erfüllen die teils hohen Anforderungen aus der Automobilindustrie an die technische Sauberkeit meist nicht. Fehlende Vorkehrungen hinsichtlich sauberer Prozesse erlauben keine Bestätigung definierter Restschmutzanforderungen. Häufig werden Dichtungen für den Automobilbau in den selben Produktionsstätten gefertigt wie Industrie-Standarddichtungen ohne spezifische Sauberkeitsanforderungen. Denn eine Umrüstung ganzer Fertigungsstätten lohnt für die Hersteller oft nicht. Für Dichtungen werden definierte Anforderungen der technischen Sauberkeit daher i.d.R. über gesonderte Reinigungsprozesse erfüllt – sei es in der eigenen Fertigung oder aber bei Dienstleistern der Reinigungsbranche. Nasschemische Reinigung, teilweise kombiniert mit Plasmareinigungsprozessen, dient der Erzielung des erforderlichen Sauberkeitslevels.
Werkstoffe und Geometrien der unterschiedlichen Dichtungen setzen dabei die Grenzen der Umsetzbarkeit. Speziell die Reinigung von Elastomeren ist besonders anspruchsvoll. Anhaftende Partikel lösen sich schwer – aufgrund der hohen Klebneigung von Gummi. Ultraschall ist bei den elastischen Materialien oft nur mäßig erfolgreich. Die schwere Zugänglichkeit und geringe Größe der Dichtungen setzen in Reinigungsprozessen oft hohe Maßstäbe. Hochalkalisch oder bei hohen Temperaturen zu reinigen, bringt u.U. Vorteile im Reinigungseffekt. Jedoch können elastomere Dichtungen dabei beschädigt werden. Deshalb wird zumeist auf niederalkalische oder neutrale Reiniger auf wässriger Basis ausgewichen, u.U. mit Einbußen beim Reinigungserfolg. Doch selbst wenn effizient gereinigt wird und Grenzwerte eingehalten werden können, kann nicht oder nur erschwert mit den gereinigten Dichtungen gearbeitet werden. So hat die Reinigung doch oft ungewollte Folgen.
Ungewünschte Folgen von Reinigungsprozessen
Hierfür gibt es verschiedene Beispiele: Gummi-Metall-Verbindungen mit Nicht-Edelstählen, sofern ihre Beschaffenheit überhaupt eine effiziente Reinigung zulässt, verlieren oft ihren Korrosionsschutz. Zuvor aufgebrachte Primer oder andere Schichten, die korrosionsschützend wirken, können bei Nassreinigungsprozessen teilweise oder komplett abgewaschen werden. Der Einsatz von Edelstählen oder Nacharbeiten zur Wiederherstellung eines Korrosionsschutzes sind als Folge notwendig. Nachträglich aufgebrachte, schützende Substanzen erhöhen häufig das Wiederverschmutzungsrisiko wodurch sich der Erhalt der Sauberkeit aufwändiger gestaltet. Die gereinigten Dichtungen sind dadurch oft nicht mehr wirtschaftlich. Ähnliches gilt für reine Elastomerdichtungen, die im Regelfall nach der Produktion zumeist durch verbleibende Formtrennmittel eine leichte Schmierung aufweisen oder gar nachträglich mit Ölen behandelt werden. Sie sind nach Reinigungsprozessen nicht nur definiert sauber, sondern auch trocken und stumpf. Die Handhabung der Dichtungen bei Einbau und Einsatz wird dadurch erschwert. Adhäsions- und Montagekräfte von gereinigten Dichtungen sind im Vergleich zu ungereinigten teilweise um ein Vielfaches höher. Dies kann sowohl bei manueller als auch – wie im Automobilbau üblich – bei automatischer Montage zu Problemen führen. Schon die Vereinzelung durch Vibrationswendelförderer (Bild 2) und anschließende Zuführung der Elastomerdichtungen gestaltet sich aufwändiger als gewohnt. Die Dichtungen haften stärker aneinander und rutschen schlechter über Zuführschienen.
Bei Fügevorgängen kommt es häufiger zu Beschädigungen und zum Abscheren der Dichtungen. Vor allem unbemerkte Beschädigungen, die Regel bei automatischen Fügevorgängen, führen zu vorzeitigem Dichtungsausfall. Reibkräfte in bewegten Einbausituationen erhöhen sich, teilweise zwar in noch verkraftbarem Maß, teils aber auch in unkalkulierbarer Höhe. Auf Dauer und in Summe ist der Anstieg von Montagekräften, Beschädigungsrisiko und Bewegungsenergien oft nicht tolerierbar.
Gereinigte Dichtungen also verlangen häufig nach Schmierung für ihren reibungslosen Einbau und Einsatz. Bei hohen Sauberkeitsanforderungen und vor allem bei automatischer Montage verbieten sich jedoch die üblichen Fette und Öle zumeist aufgrund ihres erhöhten Verschmutzungspotenzials.
Maßnahmen zur Beseitigung unerwartet hoher Reib- und Montagekräfte
Abhilfe können hier die bereits weit verbreiteten Gleitlack Beschichtungen (Bild 3) schaffen. Schon jetzt sind Beschichtungen zur Verbesserung der Montagefähigkeit und Reduzierung der Reibung im dynamischen Einsatz von Dichtungen ein Standard im Automobilbereich. Doch sie bilden ein großes, nicht selten noch unbekanntes Hemmnis bezüglich der Anforderungen an die technische Sauberkeit der Bauteile.
Für eine gleichmäßige und dünne Beschichtung von Elastomerdichtungen sind i.d.R. Sprüh-Trommelverfahren im Einsatz. Die Bauteile werden in rotierenden Trommeln bei erhöhten Temperaturen mit Beschichtungssubstanz besprüht. Die Tröpfchen treffen auf die Dichtungsoberflächen und werden durch ein Aneinanderreiben der bewegten Bauteile in gleichmäßigen Schichten eingewalzt. Einige der Tröpfchen trocknen durch die erhöhten Temperaturen in den Trommeln bereits auf ihrem Weg zur Bauteiloberfläche. Auch diese werden größtenteils in die Schichten miteingetrommelt. Manche jedoch lagern sich, vor allem an den Bauteil-Innendurchmessern, als Partikel auf den Oberflächen ab. Diese haften fest und lassen sich meist nur teilweise durch Nassreinigungsprozesse entfernen. Sie lösen sich dagegen leicht bei Montagevorgängen, mit entsprechenden Folgen. Die Partikel werden unbemerkt in Systeme und Komponenten eingeschleppt. Da viele der genutzten Gleitlacke transparent sind, können Partikelverunreinigungen durch Beschichtungen schwer nachgewiesen werden. Auch der häufig integrierte UV-Indikator hilft bei der Analyse nicht weiter. Es gibt allerdings durchaus Produktionsmethoden und Prozesseinstellungen, die diese Partikelgenerierung auf ein Minimum reduzieren. Auch der Einsatz von Beschichtungen aus Gasabscheidung kann Hilfe versprechen. Alles in allem jedoch erhöhen nicht nur die Reinigungsvorgänge selbst, sondern auch die nachfolgende Beseitigung von ungewollten Folgen die Kosten für Dichtungen, den klassischen C-Teilen im Automobilbau.
Technische Sauberkeit und Kosten frühzeitig im Blick haben
Die Erfüllung durchaus berechtigter Anforderungen an die technische Sauberkeit von Dichtungen im Automobilbau führt bereits durch zusätzliche Reinigungsprozesse und Prozessüberwachung zu erhöhtem Aufwand und Kosten. Diese können durch teilweise notwendige Maßnahmen zur Beseitigung ungewollter Folgen von Reinigungsprozessen weiter steigen. Für ein erfolgreiches Kostenmanagement bei Dichtungen als typischen C-Teilen im Automobilbau ist frühzeitige Kommunikation unabdingbar. Das gesamte Bauteil mit allen Anforderungen sollte im Vorfeld betrachtet und dem entsprechend mögliche Folgen von Reinigungsprozessen beachtet werden. Ingenieure und Entwickler können kostengünstige Lösungen erarbeiten, wenn frühzeitig an alle Faktoren gedacht wird. Schon bei der Auswahl von Dichtungsmaterialien und Geometrien sollten später notwendige Sauberkeitsanforderungen bekannt sein, damit eine entsprechende Optimierung hinsichtlich notwendiger Reinigungsprozesse erfolgen kann. Dies setzt voraus, dass Einkäufer und Entwickler sich der Tatsache bewusst sind, dass Dichtungen i.d.R. einen Reinigungsprozess durchlaufen müssen, um definierte Sauberkeitsanforderungen erfüllen zu können.
Fakten für Konstrukteure
• Die geforderte Sauberkeit von Dichtungen sollte schon bei der Konstruktion berücksichtigt werden
Fakten für Einkäufer
• Wird der Sauberkeitsaspekt frühzeitig betrachtet, lassen sich im Gesamtprojekt z.T. erhebliche Kosten sparen
Bild 1: Die automatische Montage – hier mit einem Vibrationswendelförderer – kann bei falsch gereinigten Dichtungen zu Problemen führen (BILD: APO GMBH)
Bild 2: Beschichtete O-Ringe können ein Hemmnis hinsichtlich der technischen Sauberkeit sein (Bild: seals’n’finishing)