Sind wir bereit für die nächste  Kuhnsche Paradigmenverschiebung?

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12.03.2024 Sind wir bereit für die nächste Kuhnsche Paradigmenverschiebung?

von Dr. Evert Smit (Afera, The European Adhesive Tape Association)

Mit einem Kuhnschen Paradigmenwechsel meine ich einen dramatischen und abrupten Wechsel in unserem Denken darüber, wie unsere Wirtschaft, unsere Unternehmen, unsere Geschäfte in naher Zukunft aussehen werden.

Aber lassen Sie mich kreativ sein und es auf unsere Geschäftswelt anwenden. Was während eines solchen Wandels geschieht, ist die krisenbedingte „katastrophale Veränderung“ des derzeitigen Normalzustands durch revolutionäre (im Gegensatz zu normalen evolutionären) neue Theorien und Methoden, Praktiken und Ideen. Wenn sich das neue Paradigma als erfolgreich erweist, wird es als „neue Normalität“ übernommen. Nun geschehen solche Veränderungen nicht einfach, weil sie möglich sind. Sie stoßen immer auf heftigen Widerstand. Jede größere Veränderung stößt auf Widerstand, selbst wenn wir uns erkennbar in einer Krise befinden. Wir erleben dies gerade bei der unvermeidlichen Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft. Trägheit, Kultur, Lobbyismus, das Fehlen praktikabler Alternativen zum jetzigen Zeitpunkt oder häufiger: das vermeintliche Fehlen von Alternativen führt zum Festhalten an einer linearen Wachstumswirtschaft. Deutlich wird dies z.B. an der Nichtakzeptanz von biobasierten und recycelten Materialien, Ablehnung von neuen technischen Möglichkeiten, z.B. erneuerbare Energien vs. fossile Energien, weil die erforderlichen neuen Modelle und die nötige Infrastruktur einfach (noch) nicht etabliert sind. Natürlich zeigen sich hier auch typische menschliche Verhaltensweisen hinsichtlich Risikovermeidung, hinsichtlich Collaboration von Marktteilnehmern, ideologischen Zwängen etc. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir fünf Jahrzehnte Neoliberalismus hinter uns haben, eine Ideologie, nein, eine Religion, die anfangs sehr erfolgreich zu sein schien. Eine Ideologie, die große Fortschritte und großen Reichtum gebracht hat – für diejenigen, die in den oberen Perzentilen der Skala stehen. Diejenigen, die die wahre Macht haben. Diese Kräfte sind ein gewaltiges Hindernis für den erforderlichen Wandel, da individuelle Interessen über das Gemeinwohl von Gesellschaften gestellt werden.
Aber langsam, aber sicher wird den Menschen klar, dass der Wandel kommen muss. Oder er wird einfach über uns kommen. Wenn ich mir anschaue, was um uns herum geschieht, sage ich voraus, dass wir im Grunde die gleichen emotionalen Phasen durchlaufen wie Süchtige, bevor sie clean werden. Wir sind süchtig nach Wachstum. Wir glauben so fest an unbegrenztes Wachstum als Lösung für alle menschlichen Probleme, dass wir nicht erkennen, dass uns das zerstört. Noch heute gibt es unter Studierenden Anhänger wirtschaftswissenschaftlicher Modelle, die auf solch „harten“ Wirtschaftsannahmen beruhen. Aber das ist nur ein Glaube, kein physikalisches Gesetz. Die Sucht beginnt mit Phase 1, der Verleugnung: „Nein, das ist nicht real. Der Klimawandel ist nicht real, die zerstörerische Umweltverschmutzung ist nicht real, wir werden technologische Lösungen finden“. Mehr als 50 Jahre nach den Veröffentlichungen des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums 1972 wissen wir um diese Verleugnung, denn es ist noch viel, viel schlimmer geworden. Verleugnung ist allgegenwärtig – leider auch bei vielen Menschen in Machtpositionen (Staatsoberhäupter, Top-Management vieler Industrien, insbesondere auf fossiler Energie basierender Industrien).

Dies führt zu Phase 2, dem Bewusstsein, das aktuell deutlich wächst. Die negativen Auswirkungen dessen, was wir tun, beeinflussen wirklich unser aller Leben. Menschen am unteren Ende der Einkommensskala können den Folgen aber weniger ausweichen als andere. Verleugnung funktioniert hier nicht. Dann folgt die Ambivalenz, in der Konflikte –intern und extern – in der Gesellschaft entstehen. Ein Teil will an dem festhalten, was ist, weil es für ihn – im Moment – mehr Vorteile als Nachteile hat. Diejenigen, die aktuell noch Vorteile haben, werden den Wandel nicht vorantreiben. Wir erleben es gerade auf den verschiedensten Ebenen, dass wir dieses Stadium erreicht haben – die Kämpfe beginnen.

Einige haben jetzt schon das Stadium der „Kontemplation“ erreicht, in dem die Welt, wie sie ist, infrage gestellt wird. Und Menschen mit diesem Mindset schließen sich zusammen und suchen die Hilfe der anderen Gleichgesinnten. Sie verstärken ihre Stimmen und versuchen, ihren Einfluss zu erhöhen. Auch die ersten Unternehmen, bewegen sich bereits. Ich teile Befürchtungen, dass uns nur eine große Krise – größer als bisher – in die nächste Phase bringen wird, in der echter, notwendiger Wandel stattfindet. Ich wünsche mir für meine Kinder und die Menschheit, dass es nicht dazu kommen muss. 2024 wird ein wichtiges Jahr sein. So werden z.B. Wahlen auf der ganzen Welt zeigen, wohin wir uns im nächsten Jahrzehnt bewegen – auf der Stelle oder mutig in eine lebenswerte Zukunft.

So, genug der dystopischen Sichtweise. Was macht mir Hoffnung? Konzentrieren wir uns auf unsere Branche, denn das wäre unser Einflussbereich. Wo stehen wir? In meinen früheren Artikeln habe ich bereits darauf hingewiesen, dass wir weiter sind als viele andere. Dass wir unsere Rolle erkannt haben und begonnen haben, in großem Umfang zu kooperieren. Ich gehe soweit zu sagen, dass wir uns im Stadium der „Kontemplation“ befinden. Die Gegenkräfte sind zwar immer noch sehr stark, aber es gibt eine große und wachsende Gruppe von Menschen, die sich trotzdem vorwärts bewegt. Das heißt, sie legen Dinge (manchmal) offen auf den Tisch, stellen Greenwashing infrage, reflektieren und suchen nach Resonanz. Dazu muss man sich nur die verschiedenen Diskussionen anschauen, die z.B. auf LinkedIn stattfinden. Also, Kopf hoch – es gibt Hoffnung. Es werden mehr, die aktiv versuchen, ihr Bewusstsein zu schärfen und sich bewegen – auch wenn das manchmal schmerzt. Aber Wandel in der Komfortzone ist wahrscheinlich eine Illusion.

Evert Smit, Präsident, AFERA
„Jede Branche hat ihre Herausforderungen. Die ´Abstimmung mit den Füßen´ ist allerdings für alle Menschen und Unternehmen ein gangbarer Weg zur Veränderung. Bei den Klebebändern sind wir schon unterwegs.“ Evert Smit, Präsident, AFERA

Lösungspartner

Afera, The European Adhesive Tape Association
Afera, The European Adhesive Tape Association

 

Themen

Kleben

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung, Vertrieb