05.09.2022 New Mobility?
Nach Jahren des Redens werden jetzt Weichen gestellt. Ganz grundsätzlich: Weichen sind eine Richtungsentscheidung, also sollte man sich sehr gut überlegen, wohin die Reise gehen soll.
Geht es z.B. nach der EU-Kommission, sollen ab 2035 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr ausgeliefert werden. Die sehr interessanten Entwicklungen bei dieser Antriebstechnik im Kontext zu synthetischen Fuels spielen dann keine Rolle mehr. Im Individualverkehr stehen die Weichen also auf Fahrzeugen mit E-Antrieben. Doch wie soll das in der Praxis gehen? Hier ein ein paar Beispiele, die nachdenklich machen. Vorausgesetzt Sie besitzen eines dieser Fahrzeuge oder planen die Anschaffung, sollten Sie sich mit Ihrer Ladeinfrastruktur beeilen. In Lampertheim können z.B. in einem Straßenzug von ca. 800 m, bebaut mit Einfamilienhäusern max. vier Ladestationen installiert werden, damit die verlegten Leitungen die gewünschte Leistung bereitstellen können. Aus anderen Orten hört man Ähnliches. Und was macht ein Mieter in einem Mehrfamilienhaus? Eine Leitung aus dem Fenster herauszulegen, ist nicht zulässig. Die wenigen Ladestationen im Umfeld benötigen teils Ladezeiten von 4 bis 6 Stunden und reichen für die Menge der Fahrzeuge kaum aus.
Auch gibt es für die derzeit 67 Mio. Fahrzeuge in Deutschland wohl kaum ausreichende Ressourcen, sie auf E-Fahrzeuge umzustellen und woher der Strom für diese „Weichenstellung“ kommen soll, ist fraglicher denn je.
Schaut man sich die Aktivitäten der deutschen Kfz-Industrie an, bekommt man den Eindruck, dass sie sich zukünfig auf die Premiummodelle konzentrieren und keine „Volkswagen“ mehr produzieren. Dass E-Mobility zu einer Reduzierung der dafür benötigten Arbeitskräfte in der Automobilindustrie in Deutschland führen wird, da weniger Teile verbaut werden als bei einem Verbrenner, war klar. Diese Entwicklung ist ein weiterer „Booster“ für den kommenden Stellenabbau in einer deutschen Schlüsselindustrie. Die „Volkswagen“ kommen dann aus dem Ausland. Ist dies gewollt? Oder werden derzeit auch bei den „Volkswagen“ die Weichen gestellt? So werden z.B. Anwohnerparkausweise derzeit gestrichen oder deutlich verteuert und natürlich ohne Stellplatzgarantie. Autofahren in der Stadt wird auch durch neue Verkehrswegeregelungen immer schwieriger. Hier werden Weichen gestellt.
Wenn das Reiseziel die massive Reduzierung des individuellen Pkw-Verkehrs ist, wäre es zumindest schön, die Zwischenstopps der Reise zu kennen und einen Fahrplan für die individuelle Anpassung zu haben. Die ist nämlich für die Generation „Freie Fahrt für freie Bürger“ größer als für junge Generationen, zumal hier Mobilität noch mit einem Lebensgefühl verbunden ist.
Einen Plan kann ich noch nicht erkennen. So aktuell werden – im Zuge der steigenden Energiepreise – wieder ganz komische Signale gesendet. Der „Tankgutschein“ als Entlastungspaket führt eigentlich in die falsche Richtung und „entlastet“ auch wohl nur die Mineralölkonzerne.
Das 9 €-Ticket für den Nah- und Fernverkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist ganz nett, ignoriert nur völlig eine schlecht ausgebaute und überforderte – weil kaputtgesparte – Infrastruktur. Ohne den grundsätzlichen Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs und Fernverkehrs als Alternative zur individuellen Mobilität erleben wir eine Fahrt ins Nirgendwo. Geahnt haben wir das auch schon ohne das Milliarden-Subventionsprojekt. Wirft man im städtischen Bereich einen Blick auf die Fahrzeiten und sieht die Versorgung z.B. in den Abendstunden, verliert man die Lust auf Veranstaltungen, weil kaum noch S-Bahnen, Busse und Straßenbahnen fahren. Im Fernverkehr sieht es nicht besser aus. Nehmen wir die Fernzüge. 2021 waren im Schnitt etwas mehr als 75 % der ICE- und IC-Züge „pünktlich“. Auch hier mal wieder Mannheim: Hier waren es nach neusten Erhebungen nur 50 %, d.h. statistisch gesehen sind die Züge irgendwo pünktlich. Und wehe, man muss umsteigen. Etliche Bahncard-Besitzer in meinem Bekanntenkreis haben nicht verlängert, weil sie wichtige Termine verpasst haben. Dass es anders geht, zeigt die Schweiz. Im vergangenen Jahr waren 91,9 % der Züge im Personenverkehr pünktlich und trafen somit am Zielbahnhof mit weniger als drei Minuten Verspätung ein. Es geht also irgendwie – im Ausland.
Kommen wir zum Fahrradfahren, das sich auch durch E-Bikes immer größerer Beliebtheit erfreut. Das Radwegenetz wird mit deutscher Gründlichkeit und damit Geschwindigkeit ausgebaut – also üben wir uns in Geduld. Dabei brauchen wir natürlich auch nicht ins Ausland schauen, wo sehr schön gezeigt wird, warum es sinnvoll ist, Radverkehr von Pkw-Verkehr und Fußgänger:innen zu trennen. Wir wissen es besser. Auch das Laden der Akkus ist nicht immer einfach, denn es wird z.B. in gemieteten Wohnungen und Garagen wegen der potenziellen Brandgefahr teils nicht gern gesehen oder sogar verboten.
Also, wo ist der Fahrplan? Jedes Unternehmen, das einen gravierenden Wandel betreibt, hat zumindest am Anfang einen. Und wir starten mit dem freien Spiel der Kräfte, Geschäftsideen, Ideen, Meinungen kreuz und quer subventioniert in eine ungewisse mobile Zukunft. Das wäre ja auch alles gar nicht so schlimm, wenn nicht Mobilität in unserem Land auch ein zentraler Wirtschaftmotor wäre. Anstatt eines verständlichen Plans wird uns derzeit nur gesagt, was wir nicht mehr dürfen. New Mobility wird damit zur individuellen Angelegenheit und wird auch nachher so aussehen. Wenn Sie sich dann doch auf die Reise machen, üben Sie sich in Geduld – auf ein neues E-Fahrzeug wartet man derzeit zwischen 12 und 18 Monaten – also länger als auf den Zug. Die Gründe dafür liegen allerdings eher bei den globalen, nicht gerade positiven Rahmenbedingungen, die man übrigens bei einem Plan auch nicht außer Acht lassen sollte.
„Bei dem ganzen Abwägen des Für und Wider meiner Mobilität von morgen werde ich immer „bewegungsloser“ – vielleicht auch eine Facette von New Mobility.“ Karl-Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH