31.03.2018 Neue Perspektiven intelligent nutzen
Chancen für die Dichtungstechnik durch Industrie 4.0
Was bedeutet Industrie 4.0 für die Dichtungstechnik? Ist es wirklich nur die Integration von Leckagesensoren in die Dichtung? Wohl kaum. Denn für eine einfache Leckagesensorik wird keine Datenverknüpfung in einer Cloud benötigt, was wiederum eines der wesentlichsten Elemente von Industrie 4.0 ist.
Natürlich bietet eine sich selbstüberwachenden Dichtung bereits großes Potenzial: Das System meldet nicht erst dann den Ausfall einer Dichtung, wenn er passiert ist. Sondern es meldet, dass die Dichtung innerhalb eines definierten Zeitraums ausfallen wird, z.B. in einem, drei oder fünf Monaten. Mit solchen Möglichkeiten, diese Vorhersage auf Dichtungen zu übertragen, beschäftigen sich Experten bei Freudenberg Sealing Technologies bereits seit einiger Zeit in Machbarkeitsstudien und ersten Prüfläufen.
Doch der Ausfall einer Dichtung ist sehr stark von den Betriebszuständen des Systems abhängig. Diese sind von Anlage zu Anlage unterschiedlich – je nach Anwendung und Produkten, die auf ihnen hergestellt werden. Und genau hier setzt Industrie 4.0 an: Mittels Verknüpfung von Betriebspunkten, Laufzeiten, Stillstandzeiten, Medien, Temperaturmessungen etc. können diese Daten so miteinander interagieren, dass die Vorhersage des Ausfalls systemabhängig werden kann. Umgekehrt könnten bestimmte Veränderungen der Dichtung wie Abrieb oder Setzverhalten wieder zurück in das System gespielt werden, um somit entsprechende Anpassungen zu generieren und das System weiter zu optimieren. Damit würde aus einer einfachen Dichtung, einer sogenannten „C-Komponente“, eine „sprechende Komponente“ einer Anlage werden. Mehr noch: Die Idee von „Big Data“ bedeutet die Erfassung und Korrelation von Daten eines Systems mit der Möglichkeit moderner Datenanalyse, um daraus Aussagen und Korrelationen abzuleiten, die man bislang noch nicht entdeckt hat. So können z.B. Ausfallmechanismen und schädigende Einflüsse auf ein Dichtelement in einer laufenden Anlage besser verstanden werden. Es würde die langwierige Erprobung von verbesserten Dichtungen deutlich verkürzen, wenn Fehlermechanismen noch besser bekannt sind.
Die Interpretation der Daten muss also immer im Kontext des Gesamtsystems und auch im Hinblick auf die Interaktion der einzelnen Komponenten untereinander betrachtet werden. Dabei ist ein weiterer Aspekt interessant: Die Daten intelligenter Dichtungen führen eigentlich zwangsläufig zu einem größeren Wissen über Dichtungen. Wird dies richtig genutzt, entstehen bessere Dichtungen und damit bessere Dichtsysteme. Die Dichtung wird endgültig zu einer Schlüsselkomponente.
Hohes Potenzial durch verschiedene Ansätze
Potenzial für intelligente Dichtungen gibt es in vielen Bereichen. Das fängt bei der Prototypen-Entwicklung an. Fest steht: Für diese Veränderung ist der Dichtungshersteller ein Partner in einem größeren Team. Dazu gehören ebenfalls Sensoriker, IT sowie der Bauteilund Anlagenhersteller bis hin zum Anlagenbetreiber. Was sich aber auf jeden Fall für ihren erfolgreichen Einsatz ändern muss, ist die Sichtweise der Entscheider in Konstruktion, Einkauf, Qualitätsmanagement und Instandhaltung auf das „C-Teil“ Dichtung.
Doch was genau sind „intelligente Dichtungen“? Einfach ausgedrückt, sind es Dichtungen mit einer Zusatzfunktion. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Entweder wird der Sensor in der Dichtung durch Einvulkanisieren eines Sensors, wie z.B. eines RFID-Chips, integriert. Dies ist vor allem dann interessant, wenn es um das Auslesen von eingespeicherten Daten geht, die man mit diesem Dichtungsteil in Verbindung bringt. Eine weitere Möglichkeit ist ein äußeres Anbringen von kommerziellen Sensoren an die Dichtung. Auch diese Möglichkeit ist in bestimmten Fällen einfach durchzuführen, wie z.B. die Kombination von Temperatursensoren mit Verbindungssteckern. Ein weiterer Ansatz, der bei Freudenberg verfolgt wird, ist der Einsatz von „Smart Materials“, darin sollte die „sensierende“ Dichtung durch Kombination von bestimmten Materialeigenschaften generiert werden, d.h. die Dichtung ist damit auch ihr eigener Sensor. Und die Physik bietet hier eine Reihe von Möglichkeiten, was während der Anwendung als Veränderung gemessen werden kann.
So ist es auch möglich, Condition Monitoring mittels intelligenter Dichtungen vorausschauend einzusetzen. Entsprechende Beispiele werden derzeit anwendungsnah getestet. Die derzeitigen Lösungen, die evaluiert werden, haben eines gemeinsam: Sie übertragen Signale, d.h. irgendwo muss an dem System Elektronik angebracht werden. Das verändert die nutzbaren Bauformen und unter Umständen auch die Dichtungstypen. Dennoch lautet eine der wichtigsten Fragen in Entwicklungsprojekten: Was muss ich im System (ganzheitlich betrachtet) ändern, damit es doch funktioniert?
Radikal veränderte Kostenbetrachtung
Ein weiterer wichtiger Aspekt zeichnet sich bei intelligenten Dichtungen ab, die heute meist projektspezifisch entstehen. Wer Dichtungen als C-Teil preisgetrieben einkauft, wird keine intelligenten Dichtungen einsetzen. Denn diese sind solchen Anwendern „zu teuer“. Wer allerdings Dichtungen als systemrelevante Komponenten im Rahmen einer Gesamtkosten/Nutzenrechnung betrachtet, dem bieten sich verschiedene Perspektiven:
• Intelligente Dichtungen können einem Endprodukt zu höherer Performance, Zuverlässigkeit etc. – also zu Wettbewerbsvorteilen – verhelfen.
• Als Teil von Instandhaltungsstrategien helfen sie z.B., den optimalen Austauschzeitpunkt zu definieren »1/2. Hier liefert die Dichtung Daten über die einzelnen Nutzungsphasen und anhand von Referenzwerten auch Informationen, z.B. zu Montagefehlern.
• In sich selbst optimierenden Systemen und Maschinen oder in der Prototyping-Phase können solche Dichtungen wichtige Daten für bessere Systeme liefern.
Schon heute gilt, dass bei einem eventuellen Maschinenstillstand durch das Versagen einer Dichtung und deren Austausch ihr Preis keine Rolle spielt. Das Wissen über den optimalen Zeitpunkt ihres Austausches sollte viel Geld wert sein. So kann der Nutzen von komplexeren Dichtungskomponenten in der höhere Performance der Anlagen im Rahmen einer Gesamtkostenrechnung, in einer hohen Langzeit-Performance durch moderne, zukunftsfähige Produkte, in höherer Sicherheit etc. dargestellt werden. Und eine intelligente Dichtung kann hier die entscheidende Komponente für diese innovativen und effizienten Produkte sein.
Auch in der Automobilindustrie gibt es großes Potenzial für sensierende Dichtungen. Der Wegfall der menschlichen Sensorik, z.B. beim autonomen Fahren, erfordert die Erfassung aller systemrelevanten Komponenten und damit auch die Erfassung von Daten der Dichtungen im System. Aus heutiger Sicht werden intelligente Dichtungen damit auch zu einer der vielen Schlüsselkomponenten beim autonomen Fahren.
Fazit
Der Einsatz einer intelligenten Dichtung – ganz gleich, ob im Industrie 4.0-Kontext oder bei neuen Mobilitätskonzepten – hängt oft
davon ab, ob eine Dichtung früh als systemrelevantes Bauteil im größeren Kontext gedacht und ihre Verwendung dementsprechend realisiert wird. Ein klassisches C-Teil-Beschaffungsdenken wird selten zum Einsatz solcher Dichtungen führen.
Fakten für Konstrukteure
• Derzeit gibt es noch keine intelligente Dichtungen von der Stange, sie entstehen in Projekten
• Eine Veränderung der Konstruktion in der Peripherie der Dichtstellen ist zu berücksichtigen
Fakten für Einkäufer
• Intelligente Dichtungen können teurer sein als Standardprodukte, rechnen sich aber im Rahmen der Gesamtkostenbetrachtung oder hinsichtlich der Performance der produzierten Produkte
Fakten für Qualitätsmanager
• Dichtungen, die Daten liefern (aktuell liegt der Fokus auf Verschleiß), erlauben qualitativ hochwertige Produkte mit einer höheren Performance
Fakten für Instandhalter
• Intelligente Dichtungen helfen schon heute, den wirtschaftlichsten Wartungs-Zeitpunkt zu ermitteln, vorherzusagen, zu planen und Lagerhaltungskosten zu minimieren
Kontakt zu Dipl.-Ing. (TH) Thomas Kramer
»2 Die Aussage, wann der Verschleiß einer Dichtung zum Ausfall führen kann, wird mit intelligenten Dichtungen genauer und einfacher, spart damit Kosten und erhöht die Maschinenverfügbarkeit (Bild: Freudenberg Sealing Technologies GmbH & Co. KG:)