Mikro ist das neue Mega

(Bild: AdobeStock_ gradt)

28.05.2024 Mikro ist das neue Mega

von Dr. Arno Maurer (OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik)

Wie wäre es, wenn wir ausnahmeweise mal nicht alles GROSS, sondern ganz klein denken? Ansätze dazu gibt es. Wir schätzen es sehr, wie durch Mikrotechnik und Mikroelektronik alle Funktionen auf Millimetergröße geschrumpft und in eine Minikiste gepackt werden, sodass wir immer alles dabei haben.

Auch Minimalismus ist ein Megatrend [1], weil viele in der Komplexität unseres Alltags nach Einfachheit und Übersichtlichkeit suchen. Leben mit kleinstmöglichem Ballast ist die Devise. Zu den Ausprägungen zählen daher Entwicklungen wie Mikromobilität, Micro Housing und Zero Waste [1]. Ein kleines Auto braucht wenig Platz, wenig Energie und bringt uns auch von A nach B. Noch kleiner, und es wird ein E-Scooter daraus. Tiny Houses sind sparsam und bieten Platz zum Leben mit kleinem Fußabdruck. Wenig einkaufen, wenig Verpackung, wenig konsumieren, wenig horten, wenig wegwerfen…das fühlt sich gut an. Und ganz nebenbei entsteht ein Gegenentwurf zum Wachstumsparadigma, bei dem stetiges Wirtschaftswachstum die sozialen und ökologischen Probleme lösen soll [2], aber dabei die Beschränktheit der Ökosystemleistungen unterschätzt. Eine Kreislaufwirtschaft kann daraus schon gar nicht werden, wenn der Materialstrom, den wir recyceln wollen, immer weiter ansteigt.

Also rufen wir mal die Vision der Micro Circular Economy auf. Mikro ist das neue Mega! Micro Production orientiert sich daran, wo der Bedarf entsteht. Beispiele sind: dezentrale Solarenergieerzeugung oder individuelle Ersatzteile aus dem 3D-Drucker. Micro Consumption: Lebensmittel, vom intelligenten Kühlschrank gesteuert und zeitnah und mengengerecht gekauft, brauchen weniger Verpackung und erzeugen weniger Foodwaste. Micro Packaging: Kunststoffbehälter für den Kaffee, das Mittagessen, den Einkauf – fast unbegrenzt wiederverwendbar.

Eins fehlt allerdings noch zu einer Micro Circular Economy: das Micro-Recycling. Wir haben zwar hochentwickelte, ausgefeilte Technologien, die für uns Güter in unglaublicher Präzision und Komplexität herstellen, mit hohem Aufwand in die Verkaufsstellen verteilen und dort präsentieren können. Wenn es aber nach dem Ende der Nutzungsphase um Recycling und Wiedergewinnung geht, stehen wir oft vor unvollkommenen oder unkomfortablen Sammelsystemen, Schreddern, Haufwerken, Handsortierbändern und Verbrennungsanlagen [3]. Klar, das Recycling von komplexen Stoffsystemen aus vielerlei Kunststoffen, Verbunden und Metallen ist nicht einfach. Aber mit klugen Lösungsansätzen und hochentwickelten Technologien [4], vor allem aber marktwirtschaftlichen Steuerungsmaßnahmen, sollte vieles möglich werden – bis hin zum „Molecular Recycling“ [5].

Dass sich selbst Kleinteiliges wie Spielzeuge und Babyschnuller recyceln lässt, zeigt ein Startup in Dresden [6] und nutzt dabei gleich mehrere Hebel: Man arbeitet mit Markenherstellern zusammen, die die gewonnenen Rezyklate selbst verarbeiten und so ihre Umweltbilanz verbessern können. Gleichzeitig führt aber auch der Drang zum Einsatz recyc­lingfreundlicher Materialien zu immer kreislauffähigeren Designs. Das Vorhaben gelingt dann, wenn alle Akteure der Lieferkette zusammenarbeiten. Und weil kein Kreislauf perfekt ist, gibt es natürlich am Ende einen Rest (Unsortierbares, Undefinierbares, Unappetitliches), den man sicher entsorgen muss. Am besten durch eine Pyrolyse, um den Kohlenstoff nicht in die Atmosphäre zu pusten. Und dieser Rest sollte auch immer weiter minimiert werden – zwar kein Zero Waste, aber eben Micro Wasting. Es lebe die Micro Circular Economy!

 

Literatur

[1] Zukunftsinstitut: Die Megatrend-Map, 12.03.2024, https://www.zukunftsinstitut.de/zukunftsthemen/die-megatrend-map

[2] Lexikon der Nachhaltigkeit: Historischer Abriss über die Wachstumsdebatte. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/historischer_abriss_ueber_die_wachstumsdebatte_1823.htm, abgerufen am 03.04.2024

[3] Fraunhofer-Institut UMSICHT: Studie zur Circular Economy im Hinblick auf die chemische Industrie. Oberhausen, 2017, S. 126f.

[4] Rafael Zeier: Und dann packt der Roboter das iPhone und biegt es auf wie eine Sardinenbüchse. Tagesanzeiger, 01.04.2024, https://www.tagesanzeiger.ch/iphone-recycling-wie-roboter-daisy-alte-apple-handys-zerlegt-241485399769

[5] Fraunhofer-Institut IBP: Molecular Sorting. Aus Reststoff wird Rohstoff – Recycling auf molekularer Ebene. https://www.ibp.fraunhofer.de/de/projekte-referenzen/molecular-sorting.html, abgerufen am 04.04.2024

[6] Eco: Start-up HolyPoly – Im Zyklus des Recyclingbooms. Toys kids 22.01.2024, https://www.toys-kids.de/insight/eco-start-up-holypoly-im-zyklus-des-recyclingbooms/

Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, Mikrotechnik und Photonik, OST  Ostschweizer Fachhochschule Mikro­technik und Photonik
„Auch Mikro muss ganzheitlich gedacht werden. Dabei bleibt das Thema nicht klein und erfordert ein zukunftsorientiertes Mindset.“ Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, Mikrotechnik und Photonik, OST Ostschweizer Fachhochschule Mikro­technik und Photonik

Lösungspartner

OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik
OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik

 

Zielgruppen

Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Unternehmensleitung