Gesetze und Verordnungen sind kein Flipperspiel – oder doch?

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10.09.2024 Gesetze und Verordnungen sind kein Flipperspiel – oder doch?

von Karl-Friedrich Berger (ISGATEC GmbH)

Gesetze und Verordnungen werden i.d.R. nach zahlreichen, mehr oder weniger allumfassenden Debatten und Diskussionen verabschiedet und in Kraft gesetzt.

Da unsere Gesetze sowohl in Deutschland als auch in der europäischen Gemeinschaft verabschiedet werden, müssen diese Regelungen zudem oft aufeinander abgestimmt werden.

Was ein Gesetz bzw. eine Verordnung in der Praxis bewirken, bzw. welche Kräfte sie in positiver oder negativer Hinsicht (im Sinne des Gesetzes ) entfalten, ist oft nicht absehbar oder kommt bei Diskussionen zu kurz. Wenn der Gesetzgeber nachträglich zu der Einschätzung kommt, dass das Gesetz bzw. die Verordnung nicht sinnvoll ist oder modifiziert werden sollte, haben die Regelungen im Markt dann oft schon eine Eigendynamik entwickelt. Die heute vielfach kritisierte mangelnde Weitsicht der Politik kommt einem mit Blick aus der Praxis dann schon mal wie ein Flipperspiel vor. Gesetze bzw. Verordnungen zu verabschieden und sie dann z.B. nach sechs Monaten zu widerrufen oder auszusetzen, funktioniert nicht. Denn ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens wird der Markt tätig und die Unternehmen entwickeln eine Eigendynamik, die schwer zu bremsen und deren Dynamik ebenso schwer zu kanalisieren ist. Ein Beispiel: Das EU-Lieferkettengesetz (LkSG), das mit einem enormen Verwaltungsaufwand verbunden ist, hat dazu geführt, dass Unternehmen Mitarbeiter:innen eingestellt haben, die sich ausschließlich mit der Bewältigung der daraus resultierenden administrativen Aufgaben beschäftigen müssen – oder besser: sollten. Denn nun wurde der Zeitpunkt des Inkrafttretens verschoben und die Unternehmensgröße, ab der die Norm gilt, heraufgesetzt. Was machen diese Mitarbeiter:innen in den Unternehmen jetzt? Die Unternehmen werden sie wohl kaum wieder entlassen – Stichwort Fachkräftemangel – aber sie müssen jetzt auch Aufgaben finden, die die höheren Personalkosten rechtfertigen.

Ein weiteres Beispiel: Mit Beginn der Diskussion um das generelle Verbot der Produktion und der Verwendung von PFAS ( Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Sie umfassen über 10.000 Substanzen) waren sich die politischen Entscheidungsträger sicher nicht bewusst, welche Auswirkungen eine solche Diskussion auf die gesamte Wirtschaft hat. Die Folge: Einige Hersteller von PFAS-haltigen Produkten haben sich entschieden, die Produktion zu verlagern. Unternehmen, die Dichtungen aus PFAS-haltigen Werkstoffen einsetzen, wollen das Thema – ungeachtet des Ausgangs – vom Tisch haben und fordern Alternativen von ihren Lieferanten. Auch sind die Preise, z.B. einiger FFKM-Produkte, bereits drastisch gestiegen. Bei diesem Thema und seinen Auswirkungen auf europäische Schlüsselindustrien und auf aktuelle Trends beim Umbau unserer Industriegesellschaft konnte ich keinerlei politische Weitsicht erkennen. Vielmehr scheint es so, dass viele Industrien zum Spielball höchst unterschiedlicher Interessen geworden sind. Und es ist wie beim Flipperspielen – die Spielbälle entwickeln teilweise eine erheb­liche Dynamik.

Auch hinsichtlich der EUDR (Verordnung für entwaldungsfreie Produkte) wird der Schuss nach hinten losgehen. Mit dieser Verordnung werden keineswegs wilde Rodungen verhindert, sondern nur erneut ein „administratives Monster“ aufgezogen, das von Unternehmern ohne jedweden Nutzen „zu füttern ist“. Auch hier vermute ich politisches Unwissen – z.B. über die Gewinnung von Naturkautschuk. Hier zur Einordnung: Die Bäume dürfen erst nach sechs Jahren erstmals angezapft werden. Die Nutzungsdauer liegt bei ca. 25 bei 30 Jahren. Der Latex – die Basis des Naturkautschuks – wird durch Einschneiden der Baumrinde und durch das sich anschließende Auffangen der austretenden Latexmilch gewonnen. Die Tropfdauer beträgt ca. drei Stunden, danach verschließt sich der Schnitt wieder von selbst. Dabei werden pro Baum ca. 100 ml Latex mit einem Kautschukanteil von ca. 25-40% gewonnen. Die Bäume dürfen nur jeden zweiten Tag angeschnitten werden. Der durchschnittliche Ertrag/Baum/Jahr liegt bei 5 kg. Aus welchem Grund sollten diese Baumplantagen gerodet werden? Ist der Ertrag der Gewinnung inzwischen im Vergleich zu anderen Bodennutzungen so gering? Die Folge, allein schon dieser Diskussion wird sein, dass man sinnvolle Lösungen im technischen Bereich – wo es z.B. auf die Rückfederung, Zugfestigkeit, Schwingungsdämpfung etc. – nur noch dann auf Basis von Naturkautschuk anbieten wird, wenn große Nachfragemengen dahinterstehen, denn der administrative Aufwand bei kleinen Mengen wird nie in Relation zu einem adäquaten Stückpreis liegen.

Kurzum, wenn Gesetze und Verordnungen verabschiedet werden, sollten Gesetzgebende wissen, um was es geht und die Folgen realistisch abschätzen können. Wenn eine solche Abschätzung nicht gelingt, muss halt weiter beraten werden. Zu glauben, dass man mal einen Vorstoß machen kann und dann die Folgen wieder einfängt, halte ich für naiv. Jeder der schon mal Flipper gespielt hat, weiß, wie schwer das unter Umständen ist.

Karl Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH
„(Eigen-)Dynamik ist zwar wichtig, aber auch hier macht die Dosierung das Gift. Die Politik unterschätzt das zunehmend“ Karl Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH

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