27.10.2022 Es läuft alles nach Plan – nur nach welchem?
Im dritten Jahr mit Corona und den damit verbundenen Einschränkungen bzw. Verlusten befinden wir uns in der nächsten Krise –der Energiekrise, verbunden mit einer massiven Inflation.
Auf den ersten Blick ist diese Krise durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden Sanktionen des Westens ausgelöst. Und es zeigt sich wieder, dass führende Politiker im Umgang mit komplexen Krisenszenarien schnell an ihre Grenzen kommen. Oder steckt dahinter ein Plan? Hierzu gibt es unterschiedliche Meinungen und Bewertungen – von Umverteilungsdiskussionen bis zu technologischen Weichenstellungen, z.B. bei der Gestaltung unserer Energieversorgung. Dabei setzen der meist nicht erkennbare Weitblick, Dogmen und unsere Behäbigkeit den Wohlstand unseres Landes aufs Spiel. Dieser muss aber immer neu verdient werden – insbesondere von unserem (noch) starken Mittelstand.
Der Krieg in der Ukraine hat unsere Abhängigkeit vom russischen Gas schonungslos aufgedeckt. Wir sind erpressbar. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wurde zuletzt nur mit angezogener Handbremse vollzogen. Allein die langen Genehmigungsverfahren und -hürden blockierten Investitionen in einer unglaublichen Größenordnung. Dazu kommt eine – gelinde gesagt – verwirrende Kommunikation komplexer Themen und Zusammenhänge. So sprach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zunächst nicht von einem Strom-, sondern von einem Wärme- und Versorgungsproblem. Inzwischen haben sich die Preise für Strom vervielfacht. Ursache dafür ist u.a. das Merit-Order-Prinzip, das Preisexplosionen auf dem Gas- in den Strommarkt fortschreibt. Die Gasumlage wird als alternativlos dargestellt, da es sonst zu einem Zusammenbruch systemrelevanter Unternehmen des Energiemarktes käme. Gleichzeitig kommen in ersten Regelungen Unternehmen in den Genuss der Umlage, die Milliardengewinne machen und ihren Anteilseigner fürstliche Dividenden zahlen. Und zu guter Letzt wird ein Unternehmen am Markt gehalten, das seit 2014 nur in einem einzigen Jahr (2019) einen Gewinn erwirtschaftete. Auch der Finanzminister freut sich, denn aufgrund der Mehrwertsteuer in Höhe von immer noch 7% partizipiert der Staat an der Entwicklung. 5% wären laut EU ausreichend gewesen. Es hat den Anschein, als wäre diese Preisexplosion und die Verängstigung der Gesellschaft gewollt, in Kauf genommen oder zumindest hingenommen. Was könnte der Plan sein? Meine These dazu ist, dass, Bürger bei sehr hohem Druck i.d.R. eher Lösungen zustimmen, die u.U. mit massiven Einschränkungen, sozialen Umverteilungen etc. verbunden sein können.
Klar ist, eine umweltfreundliche Energiewende ist aufgrund des für jeden nachvollziehbaren Klimawandels unabdingbar, aber sie muss auch finanzierbar sein. Wenn die Ökonomie kollabiert, wird die Ökologie auf der Strecke bleiben. Dabei befinden wir uns heute auf einer Gratwanderung, die keinen Raum für Dogmen lässt. Wir brauchen in kurzer Zeit klare und weitsichtige Lösungen, auch weil wir die letzten 20 Jahre energiepolitisch interessensgeleitet und weniger strategisch agiert haben. Die dramatischen Folgen der aktuellen Entwicklungen zeigen sich insbesondere bei den KMU, die von den einhergehenden Preisexplosionen und Unsicherheiten massiv bedroht sind. Ich gehe davon aus, dass wir bald mit einer großen Insolvenzwelle konfrontiert sein werden. Ein Kostenbeispiel: Ein Händler mit Fertigung musste im Januar 2022 eine monatliche Abschlagszahlung von 1.529 € für Strom leisten, im Februar 3.550 € und im September 5.050 € – in Summe + 330%. Woher kommt der bezahlbare Strom, der unsere Wirtschaft in Zukunft antreibt? Das verschiebt sich derzeit monatlich. Deshalb nur zur Orientierung: 2021 verteilte sich die Nettostromerzeugung nach Energieträgern der öffentlichen Stromversorgung (nach BDEW, Destatis, Fraunhofer ISE, UBA/FAZ_Grafik niro) folgendermaßen:
- Braunkohle 20,2 %
- Kernenergie 13,3 %
- Gas 10,4 %
- Steinkohle 9,5 %
- Windkraft (onshore) 18,2 %
- Solarenergie (Netzeinspeisung) 9,1 %
- Biomasse 8,8 %
- Windkraft (offshore) 4,9%
- Wasser 4 %
Das ist ein breiter Mix, doch wo ist das Gesamtkonzept und haben wir Handlungsalternativen? Ja, und die sollten aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit für eine Industrienation, die sich ihrer Verantwortung für Ökologie und Umweltschutz bewusst ist, betrachtet werden. Die Preisexplosion der Energiekosten ist kein Szenario, das wir lange durchhalten können, und auch finanztechnische Manöver lindern nur den Druck, liefern aber keine Energie. Aus meiner Sicht müssten die Laufzeiten der noch am Netz befindlichen drei Kernkraftwerke um ein bis drei Jahre verlängert werden. Wir sollten schnellstmöglich die Erdgasvorräte in unserem eigenen Land unter Nutzung der neusten Technologien ökologisch verträglich erschließen und die Geothermie nutzen. Auch brauchen wir für die versorgungssichere Nutzung der regenerative Energien Speicherkapazitäten. Allein die Ankündigung eines ausgewogenen Konzeptes würde an den Märkten zur Beruhigung und Reduzierung der Energiekosten beitragen. Dass dieses Konzept unter Berücksichtigung der Ausschöpfung unserer eigenen Möglichkeiten nicht erkennbar ist, werte ich als Beleg, dass die derzeit politisch Verantwortlichen die Versorgungssicherheit der Bevölkerung und der Wirtschaft, insbesondere der KMU, nicht im Blick haben. Für die aktuellen teilweise, dogmatischen Spielchen und „Wendeszenarien“ haben wir aber weder Zeit noch Geld.
Weitere Betrachtungen zum Energiemix
Unser Gasanteil für die Stromerzeugung liegt allein bei 10,4 % , weitere industrielle Bedarfe sind hier nicht berücksichtigt. Bisher lieferte Russland jährlich 40 Mrd. m3 Gas für den deutschen Verbrauch nach Deutschland. Aktuell gar nichts. So gilt es derzeit, die Gasversorgung aus alternative Quellen zu sichern. Allerdings sind verschiedene Gasquellen aus ökologischen Gründen kritisch zu betrachten. In Wilhelmshaven soll noch in diesem Jahr ein Flüssiggasterminal in Betrieb gehen. Ein weiteres, vom Bund angemietetes, schwimmendes Terminal soll im Winter 2023/24 in Betrieb gehen. Um das Gas ins Netz einspeisen zu können, müssen zudem 28 km Pipeline gebaut werden. In Brunsbüttel sollen weitere LNG-Terminals gebaut werden. Um deren Gas einzuspeisen, muss eine 65 km lange Pipeline gebaut werden, die mindestens 200 Mio. € kosten wird – mit steigender Tendenz bei Kosten und Bauzeit. Und nicht nur bei Umweltschutzverbänden sind diese Bauten umstritten. Bei LNG aus den USA und Australien handelt es sich oft um Fracking-Gas, das umwelt- und klimaschädlich gewonnen und transportiert wird. LNG aus den USA ist über 6-mal und aus Australien rd. 7,5-mal klimaschädlicher als fossiles Pipelinegas aus Norwegen. Insgesamt könnten somit ca. 15,5 Mrd. m3 in das Leitungsnetz eingespeist werden. Es fehlen dann aber immer noch ca. 24,5 Mrd. m3 Gas. Andererseits schlummern unter Deutschland sehr große Erdgasvorkommen, die aber aus Umweltschutzgründen nicht erschlossen werden sollen, obgleich die Erzeugung von Energie aus Erdgas ohne jegliche Kohlendioxid-Emissionen mithilfe einer neuen – von Forschern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des IASS – entwickelten Technologie schnell Wirklichkeit werden könnte. Hier wird dogmatisch gegen jede Form von Fracking argumentiert, obwohl es ganz unterschiedliche Verfahren gibt, die sich auch hinsichtlich ihrer Umweltschädlichkeit extrem unterscheiden. Würde diese Rohstoffquelle genutzt, bräuchten wir fast zehn Jahre keine weiteren Lieferungen aus dem Ausland. Die Braun- und Steinkohle hat einen Anteil von rd. 30% Anteil an der Stromerzeugung.Die ersten Kraftwerke gingen 2020 vom Netz und bereits Ende 2022 werden statt der heute erzeugten Leistung aus Kohlekraftwerken von rd. 40 GW nur noch insgesamt lediglich ca. 30 GW erzeugt werden; 2030 dann nur noch insgesamt 17 Gw. Das bedeutet, dass wir Ende 2022 einen weiteres Versorgungsloch von 10 GW haben werden. Die Kernenergie hatte einen Anteil von 13,3% an der Stromerzeugung. Nach Überzeugung der vorhergehenden und jetzigen Regierung sollten alle Atomkraftwerke vom Netz gehen. Um die gleiche Energieleistung zu erzeugen werden 80 km2 Solarpanels oder rd. 700 Windkraftanlagen benötigt, die allerdings ohne Speicher nicht grundlastfähig wie Kernkraftwerke sind. Doch wie sieht es mit der weltweiten Nutzung der Atomenergie aus? Insgesamt sind weltweit 440 Atomkraftwerke in Betrieb und weitere 390 in Planung. Lediglich 10 Anlagen wurden weltweit abgeschaltet. In der Schweiz ist das älteste Kernkraftwerk seit 51 Jahren in Betrieb. In Japan sind neun Reaktorblöcke in Bau. Mithilfe der Kernenergie wurden weltweit 2021 2653 Twh Strom erzeugt (10% des Gesamtbedarfes). Auch ohne eigene Atomkraftwerke, verabschieden wir uns nicht von dieser Technologie. Um unsere Versorgungssicherheit zu gewährleisten, beziehen wir über das Jahr gesehen immer wieder Atomstrom – vor allem aus Frankreich. Die Windkraft hat inzwischen mit 23,1% einen recht hohen Anteil an der Stromerzeugung.Jedoch ist Wind nicht konstant und insbesondere ist die Energie nicht flächendeckend nutzbar. Zum einen fehlen Genehmigungen, um Anlagen flächendeckend aufzubauen, was auch durch die unterschiedlichen föderalen Gesetze verhindert wird. Zum anderen fehlen Tausende Kilometer Leitungen, um den Strom von Nord nach Süd zu bringen. Von daher ist es in diesem Bereich keine Versorgungssicherheit zu erwarten – auch bis die Energie in vernünftigem Maß gespeichert werden kann. Die Nutzung der Solarenergie (9,1% Netzeinspeisung) bedarf enormer Flächen und setzt eine Witterung voraus, die eine permanente Gewinnung ermöglicht. Beides ist nicht gegeben. Hinzu kommt, dass derzeit, durch die eingeschränkte Lieferfähigkeit Chinas, Teile für die Anlagen nur eingeschränkt zu erhalten sind und zudem Montagekapazitäten fehlen. Auch hier werden für die Erhöhung der Versorgungssicherheit zudem Speicher benötigt.
„Zugegeben, die Lösung der Energiekrise ist nicht trivial, aber ohne ein der Bevölkerung und Industrie vermittelbares Konzept, das Versorgungssicherheit zu akzeptablen Preisen in den Mittelpunkt stellt, wird es problematisch.“ Karl Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH