Entspannt Euch beim Diskurs über Plastik

(Bild: AdobeStock_ gradt)

08.09.2023 Entspannt Euch beim Diskurs über Plastik

von Dr. Arno Maurer (IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik)

Dies ist eine Einladung zu einem kritisch differenzierten, aber entspannten Umgang mit Kunststoff.

Ob wir „Plastik“ nun mögen oder nicht: der Bedarf an Kunststoff wird sich alle zehn bis zwanzig Jahre verdoppeln - parallel zum Bevölkerungswachstum und zur Industrialisierung in Entwicklungs- und Schwellenländern. Was den Ausgang unseres globalen Experiments betrifft, bei dem sich derzeit Milliarden Tonnen Kunststoffe über alle terrestrischen Ökosysteme verteilen, – auch dafür gibt es, wie im Moment bei so vielem, keine einfachen, allgemein gültigen Antworten und fertigen Lösungen. Die Idee liegt nahe, diesen gefühlten Problemstoff generell durch andere Materialien zu ersetzen, aber das ist leider keine gute Option – Studien haben ergeben, dass dann die etwa vierfache Menge an Kohlendioxid ausgestoßen würde [1]. Selbst Umweltschutzorganisationen wie NABU kommen zu dem Schluss, dass Kunststoffe sinnvoll genutzt werden müssen und hinsichtlich ihrer Klimabilanz oft besser sind als Papier, Glas oder Metalle [2]. Plastik scheint also – man wagt es wirklich noch kaum auszusprechen – ein latenter Klimaschützer zu sein. Darüber hinaus ist er wohl ein unentbehrlicher Werkstoff für Infrastrukturen, um die strategischen UN-Entwicklungsziele, wie eine sichere globale Wasser-, Energie- und Nahrungsversorgung, voranzubringen. Lässt sich denn die Plastikflut durch bereits existierende Technologien überhaupt eindämmen, wenn doch gleichzeitig die Kunststoffproduktion stetig zunimmt? Aktuelle Studien bejahen dies, stellen aber auch fest, dass effektive Lösungen nur gemeinsam von Wirtschaft, Konsumenten, Gesetzgebern Entspannt Euch beim Diskurs über Plastik und im internationalen Konsens gefunden werden können [3]. Bei einer Fortsetzung des „business as usual“, so die schlechte Nachricht, also beim Weitermachen wie bisher, wird sich der Plastikmüll in den Ozeanen bis 2040 etwa vervierfachen. Was bedeutet das zunächst für uns Verbraucher:innen? Ich muss gestehen, dass man ein gewisses Unwohlsein überwinden muss, um Plastik als das grundsätzlich eher nützliche und lebensfreundliche Material zu sehen, was es offensichtlich ist. Genauso gewöhnungsbedürftig scheint es, in Materialkreisläufen zu denken und nicht mehr in einem Kaufen-Verbrauchen-Schema. Und ja, wir sind eigentlich noch ganz am Anfang. Die Recycling-Quoten liegen im weltweiten Durchschnitt bei nur etwa 9%. Von einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sind wir noch sehr weit entfernt. Der Ball geht also weiter an die Kunststoffindustrie. Angetrieben durch den Global Plastic Treaty, der bis Ende 2024 die erste weltweite Vereinbarung für 170 Teilnehmerstaaten erreichen soll, werden die wichtigsten Maßnahmen immer klarer sichtbar [4]. Dazu gehören die Beschränkung von Einwegprodukten, die Elimination problematischer Kunststoffsorten und Additive, der Aufbau von Sammelsystemen und Recyclingkapazitäten und die Förderung der Akzeptanz von Recyclingkunststoffen durch den Markt und die Verbraucher. Im Endeffekt sollen neue Geschäftsmodelle mit ökologischem, finanziellem und sozialem Mehrwert entstehen [5], gefördert durch verbindliche gesetzliche Vorgaben sowie wesentlich verstärkte internationale Kooperationen und Technologietransfers. Wir brauchen also – auch das klingt jetzt nicht so sehr populär – eine langfristige Perspektive, Kreativität bei Ersatz und Vermeidung von Kunststoffen, Mut zum Ausprobieren und Bewertungsmöglichkeiten hinsichtlich dessen, was uns die Forschung und der Markt an Lösungsoptionen anbieten. Parallel dazu müssen Technologien für ein effektives Erfassen und sauberes Recycling des Plastikabfalls entwickelt und verbessert werden. Und bitte: Beim Umgang mit Plastik immer wieder entspannen und den Kopf freihalten, damit ausreichend Ressourcen zur Bewältigung der wirklich drängenden globalen Herausforderungen bereitstehen, beispielweise: Klimaschutz, Ernährung, Bildung.

Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik
Für den verantwortungsvollen Umgang mit Plastik brauchen wir ein neues Mindset. Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik

Lösungspartner

IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik
IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik

 

Themen

Polymer

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung, Vertrieb