04.06.2018 Ein wichtiger Sprung
Daten sammeln und nutzen erhöht die Performance bei Faserstoffdichtungen
Jahrzehnte bekannt und im Einsatz bewährt, erlauben neue Entwicklungen bei Faserstoffdichtungen den Sprung in neue Zeiten – Industrie 4.0 inklusive. Die Gasket-Code-Technology ermöglicht dabei eine lückenlose Identifikation selbst kleinster gestanzter Dichtungen. Darüber hinaus ermöglichen neue Eigenschaftskombinationen gesteigerte Anpassungsfähigkeit bei gleichzeitig robuster mechanischer Festigkeit auch unter Temperatur.
Dichtheit, Praxistauglichkeit, langlebige Zuverlässigkeit und gesteigerte Leistungsreserven sind wichtige Parameter für die Anlagenverfügbarkeit. Für moderne Dichtungslösungen gelten dabei Dichtungskennwerte nach DIN EN 13555 und perfekte Auslegungen gemäß VDI 2290. Die Erfahrung in der Praxis hat über Jahre unmissverständlich gezeigt, dass nicht nur die messbaren Produkteigenschaften eines Dichtungswerkstoffs über die Hochwertigkeit eines Dichtsystems entscheiden, sondern vor allem auch eine ordnungsgemäße Montage. Aus diesem Grund wird das Personal für die Herstellung von Flanschverbindungen mehr und mehr, z.B. gemäß DIN EN 1591-4, geschult. Dennoch setzt sich jeder etablierte Hersteller von Flachdichtungen zum Ziel, die Produktperformance stets zu verbessern und den steigenden Anforderungen gerecht zu werden. Anforderungen an den Dichtungswerkstoff Zum Anforderungsprofil an einen Flachdichtungswerkstoff gehören ganz unterschiedliche Eigenschaften. Einige der nachfolgend aufgeführten Anforderungen sind dabei ein Zielkonflikt, der niemals vollständig aufgelöst werden kann:
- Leckageperformance,
- chemische Beständigkeit,
- Temperaturbeständigkeit,
- Anpassungsvermögen an Dichtflächenunebenheiten,
- mechanische Stabilität auch unter Temperatur.
Vereinfachend kann man feststellen, dass eine hohe Dichtheit, die i.d.R. mit einer hohen Anpassungsfähigkeit einhergeht, im Widerspruch zu einer ausgeprägten mechanischen Festigkeit bei Temperaturen von oberhalb ca. 100 °C steht. Es gehört zur hohen Kunst eines Dichtungsherstellers, hier einen immer besseren Kompromiss zu finden.
Valide Daten für tragfähige Kompromisse
Während früher im Wesentlichen nur mit den Anteilen der Faser und des Bindemittels die Eigenschaften bestimmt worden sind, spielen in modernen Rezepturen die Funktionsfüllstoffe eine entscheidende Rolle. Nahezu jede Eigenschaft der Dichtung kann gezielt beeinflusst werden. Für die Weiterentwicklung von Dichtungen liefert aber auch die Fertigung wichtige Daten. So wurden und werden die hier zugrunde liegenden – nach dem neuesten Stand des Kalanderverfahrens hergestellten – Mischungen der Dichtungsplatten ausschließlich aus hochwertigen Rohstoffen hergestellt. Jede Rohstoffcharge unterliegt dabei nicht nur präzisen Spezifikationen, sondern einer strengen Wareneingangskontrolle. Somit gelangen nur geprüfte und freigegebene Ausgangsrohstoffe in die Produktion. Ein Prozessleitsystem überwacht und steuert die Zusammenstellung der Rezepturen, das Mischverfahren und den eigentlichen Kalandrierprozess. Somit ist stets eine konstante Qualität gewährleistet. Jedes Fertigungslos ist mit einer eindeutigen Identifizierung versehen, die eine lückenlose Rückverfolgbarkeit der Dichtungsplatte ermöglicht. Die Datenmenge, die durch das Prozessleitsystem im Laufe der Jahre gesammelt und archiviert worden ist, stellt zudem die Basis für Forschung und Entwicklung dar, da man gezielt einzelne Parameter, nicht nur der Rezeptur, sondern auch des hochkomplexen Fertigungsprozesses verändern und auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen kann. Auf diese Art und Weise konnte ein umfangreiches Know-how aufgebaut werden, um einen immer besseren Kompromiss der Dichtungseigenschaften zu erzielen.
Der Status quo
Die gängigen hochwertigen Faserstoffdichtungen werden in unzähligen Anwendungen bis zu einer Temperatur von ca. 150 °C eingesetzt. Die Vorteile liegen in der Robustheit dieser Dichtungen. Dadurch ergibt sich ein sehr zuverlässiges Handling und eine leichte Verarbeitbarkeit. Diese Werkstoffe sind sowohl für Flansch- als auch für Verschraubungsdichtungen einsetzbar. Insbesondere die nicht sehr stark ausgeprägte Zusammendrückung dieser Produkte setzt jedoch Grenzen, wenn Dichtungsauslegungen gemäß DIN EN 1591-1 [5] und VDI 2290 erfolgen sollen. Die Dichtungskennwerte gemäß DIN EN 13555 zeigen, dass relativ hohe Mindestflächenpressungen erforderlich sind, die nicht in jedem Flanschsystem problemlos aufgebracht werden können.
Dichtungskennwerte nach DIN EN 13555 auf neuem Niveau
Nahezu alle Anlagen der modernen Prozessindustrie unterliegen den Anforderungen der TA Luft. Gefordert werden umsetzbare Auslegungen von Dichtverbindungen gemäß der in der VDI-Richtlinie 2290 genannten Dichtheitsklasse L0,01. Dies erfordert eine außergewöhnlich gute Leckageperformance bereits bei relativ geringen Flächenpressungen. An diesem Kriterium scheiterten bislang klassische Faserdichtungswerkstoffe. Mit der novapress® 880 sind technisch sinnvolle Dichtsystemauslegungen problemlos möglich, die mehr Sicherheit hinsichtlich der Auslastung der Schrauben und Flansche bieten. Ebenso stellt die Dichtung für den Montagevorgang eine signifikant höhere Fehlerverzeihlichkeit zur Verfügung. Die Dichtungen erreichen < 20 MPa für Qmin L0,01 bei 40 bar Innendruck und einen QSmin-Wert für die gleiche Dichtheit von 5 MPa bei Berechnungen nach DIN EN 1591-1. Die weiteren Anforderungen des vom VCI herausgegebenen Leitfadens zur Montage von Flanschverbindungen [6] bezüglich der PQR-Werte werden ebenfalls erfüllt.
Die Performance hinsichtlich der Dichtheit wird gleichermaßen mit und ohne Innenbördel erreicht. Der verwendete Innenbördel hat keinen Einfluss auf die Leckageperformance.
Der Anwender hat die Möglichkeit, Dichtungen einfach aus der Platte gestanzt oder – bei nahezu identischen Kennwerten – mit einem Edelstahlinnenbördel zu beziehen. Das reduziert Lagerhaltung und Logistik in der Herstellung der Dichtung und eröffnet damit verbundene Einsparpotenziale.
Anpassungsfähigkeit erhöht die Dichtheit
Zahlreiche Leckagemessungen zeigen, dass bei Faserstoffdichtungen der überwiegende Anteil der Leckage über die Oberflächen erfolgt. Daraus ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den im Labor und an den realen Flanschverbindungen gemessenen Leckagen. Insbesondere bei nicht mehr fabrikneuen Flanschen, die übliche Gebrauchsspuren oder Beschädigungen aufweisen, ergeben sich deutlich höhere Leckagewerte. Die konstruktive Begrenzung der Flächenpressung, die sich durch die verwendeten Flansch-Schrauben-Kombinationen ergibt, erschwert in der praktischen Umsetzung die Einhaltung gesetzlich geforderter Dichtheitskriterien. Dieser Herausforderung kann nur durch eine signifikant höhere Anpassungsfähigkeit der Dichtung an die Flanschunebenheiten erfolgreich begegnet werden.
novapress® 880 bietet mit ca. 18% Zusammendrückung nach ASTM F36J eine Verdreifachung sonst üblicher Werte. Damit werden bereits bei vergleichsweise geringen Flächenpressungen Flanschunebenheiten zuverlässig ausgeglichen. Durch eine neue Verfahrenstechnik und eine weiterentwickelte Materialzusammensetzung werden bewährte Eigenschaften wie Medienbeständigkeit und mechanische Stabilität unter Temperatur mit hoher Anpassungsfähigkeit kombiniert.
Trotz der signifikant höheren Zusammendrückung bleibt die Druckstandfestigkeit auf einem vergleichbar hohem Niveau im Vergleich zu wesentlich härteren, klassischen Faserdichtungen. Ohne den riesigen, durch das Prozessleitsystem gewonnenen Datenpool wäre eine derartige Verbesserung kaum gezielt herbeizuführen gewesen.
Voraussetzung für die „sprechende Dichtung“
Hersteller von hochwertigen Faserdichtwerkstoffen kennzeichnen jede Dichtungsplatte. Bereits nach dem ersten Stanz- oder Schneidvorgang jedoch sind etwaige Identifizierungen nicht mehr auf dem Stanzteil erkennbar. Eine Produktrückverfolgbarkeit der fertigen Dichtung ist somit nicht mehr möglich. Die Gasket-Code-Technology »1 ermöglicht die Identifikation (Typ, Herstellzeitraum und Fertigungslot) über einen eindeutigen „Fingerabdruck“ des Materials. Damit können sowohl die Identität des Werkstoffs als auch das entsprechende Fertigungslot exakt ausgelesen werden. Die Informationen können, z.B. im Rahmen von Wareneingangskontrollen, an neuen Dichtungen hilfreich sein. Aber auch an kleinsten Dichtungsresten kann der „Fingerabdruck“ sicher nachgewiesen werden. Dies funktioniert auch an ausgebauten Dichtungen nach beliebiger Temperaturund Medieneinwirkung. novapress® 880 erfüllt damit die im Rahmen von „Industrie 4.0“ geforderte Transparenz aller Anlagenkomponenten und ist ein wichtiger Schritt zur „sprechenden“ Dichtung.
Literatur [1] DIN EN 13555 Flansche und ihre Verbindungen – Dichtungskennwerte und Prüfverfahren für die Anwendung der Regeln für die Auslegung von Flanschverbindungen mit runden Flanschen und Dichtungen (07-2014) [2] VDI 2290 Emissionsminderung – Kennwerte für dichte Flanschverbindungen (06-2012) [3] Technische Anleitung zur Reinerhaltung der Luft (TA Luft); 24. Juli 2002; Inkrafttreten: 1. Oktober 2002 [4] DIN EN 1591-4 Flansche und ihre Verbindungen – Teil 4: Qualifizierung der Befähigung von Personal zur Montage von Schraubverbindungen in druckbeaufschlagten Systemen im kritischen Einsatz (12-2013) [5] DIN EN 1591-1 Flansche und Flanschverbindungen – Regeln für die Auslegung von Flanschverbindungen mit runden Flanschen und Dichtung – Teil 1: Berechnungsmethode (08-2011) [6] VCI – Leitfaden zur Montage von Flanschverbindungen in verfahrenstechnischen Anlagen (August 2011)
Fakten für Konstrukteure
• Das Material bietet die Vorteile einer klassischen Faserstoffdichtung mit deutlich gesteigerter Performance hinsichtlich Dichtheit, Berechenbarkeit und lückenloser Rückverfolgbarkeit
Fakten für Einkäufer
• Gesteigerte Performance bietet größere Leistungsreserven und höhere Anlagenverfügbarkeit und mehr Sicherheit im Betrieb
Fakten für Qualitätsmanager
• Gesteigerte Performance unter Einhaltung der relevanten Normen sorgt für mehr Sicherheit im Betrieb
Ein kurzer Blick zurück
Eine der wahrscheinlich größten industriellen Revolutionen war die Erfindung und Weiterentwicklung der Dampfmaschine. Eine weitere Revolution im Zusammenhang mit der Dampfmaschine war der Einsatz von Asbestdichtungen, die erstmals einen echten Dauerbetrieb der Anlagen erlaubten. Zuvor wurden Dichtungen aus Leder eingesetzt, die durch den Kontakt mit Dampf relativ schnell zerstört wurden, sodass es zu regelmäßigen Ausfallzeiten gekommen ist. Das Hauptaugenmerk dieses Entwicklungsschrittes lag demnach auf der Funktionalität, konkreter: auf der Haltbarkeit der Dichtungen bzw. der Dichtverbindung.
Das Asbestzeitalter währte in Europa ca. 90 Jahre und wurde aus Gründen der Gesundheitsgefährdung durch die lungengängigen Asbestfasern beendet. Dies bedeutete für Faserstoffdichtungen einen Rückschritt in Sachen Haltbarkeit und Standzeit bei Dampfanwendungen – der Siegeszug der Graphitdichtungen begann. Auf der anderen Seite bieten hochwertige asbestfreie Faserstoffdichtungen eine wesentlich bessere Dichtheitsperformance, als es mit Asbest je möglich gewesen ist. Nicht zuletzt durch moderne Gesetze und Regelwerke wie TA Luft [3] steht das Leckageniveau einer Dichtverbindung heute besonders im Fokus. Beachtet man bei der Auswahl der Dichtung seriöse Werkstoffgrenzen hinsichtlich der maximalen Anwendungstemperatur, können mit modernen Faserstoffdichtungen ebenso robuste und langlebige Dichtverbindungen wie zu Asbestzeiten hergestellt werden.
»1 Erkennung einer Dichtung und des zugehörigen Fertigungslots mithilfe der Gasket-Code-Technologie (Bild: Frenzelit GmbH)
Leckagevergleich mit je einer Belastungskurve bei 40 bar Innendruck (Bild: Frenzelit GmbH)
Vergleich bei einer Flächenpressung von ca. 20 MPa und der beschädigten Dichtfläche, Dichtungsdicke 2mm (Bild: Frenzelit GmbH)
Detailaufnahme einer klassischen Faserstoffdichtung (Bild: Frenzelit GmbH)
Detailaufnahme Novapress 880 (Bild: Frenzelit GmbH)