21.03.2022 Die Spreu trennt sich vom Weizen
Nicht nur aufgrund der Pandemie und ihrer Folgen zeigt sich derzeit, welche Unternehmen auch zukünftig gute Aussichten haben werden und welche vielleicht auf der Strecke bleiben.
In vielen Marktgesprächen zeigen sich derzeit klar die unterschiedlichen Unternehmensphilosophien am Grad des kundenorientierten Verhaltens. Vor Corona war „Justin-Time“ – ein möglichst geringer Lagerbestand verbunden mit einer geringen Kapitalbindung (trotz niedrigster Zinsen) – das Maß der Dinge. Inzwischen sind Lieferketten zusammengebrochen. Der Nachschub rollt nicht mehr. Die Bänder stehen still und Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Dabei wurden auch Produktionskapazitäten teils drastisch reduziert. Die Folgen sind u.a. unglaubliche, meist zweistellige Preissteigerungen. Ob diese – aufgrund steigender Rohstoffpreise und Frachtmargen – gerechtfertigt sind oder ob nach Jahren geringer Preissteigerungen die Gunst der Stunde genutzt wird, um die Margen gewaltig zu verbessern, sei dahingestellt. Gibt es Alternativen in der Reaktion auf diese Marktveränderungen? Ich denke schon, nur hat man sie in dem gnadenlosen Effizienz- und Optimierungs-Hype der letzten Jahre weniger wahrgenommen. Weitsichtige Unternehmen haben auch in den letzten Jahren den Warenbestand entsprechend ihres Umsatzes weiter angehoben und Liefersicherheit nicht für ein bisschen mehr Gewinn infrage gestellt. Das zahlt sich jetzt aus. Denn diese Unternehmen haben aktuell bessere Chancen bei Preisverhandlungen, da sie nicht in erster Linie Lieferengpässe vermeiden und Bandstilllegungen verhindern müssen.
Weitsichtige Unternehmen haben ihre Prozesse immer weiter digitalisiert und diese Digitalisierung zur Säule ihrer Services gemacht. In den letzten Monaten mussten fast alle Unternehmen ihre Organisation im erheblichen Teil auf das Mobiloffice umstellen. Parallel dazu wurden die Personalkapazitäten durch Kurzarbeit reduziert. Die Folgen: Hersteller benötigten z.T. zwei Monate, um ein Angebot abzugeben. Oder es gab nach drei Monaten keine Rückmeldung, um eine aufgerufene Preissteigerung zu erläutern. Hier hat sich im letzten Jahr die Spreu vom Weizen getrennt und verschiedene Unternehmen haben sich für die Zukunft disqualifiziert. Es hat sich wieder gezeigt, dass Geschäftsbeziehungen komplexe und sensible Systeme sind. Werden sie in eine Richtung ausgereizt, kollabieren sie u.U. schnell. Und so ist – insbesondere in Krisen – das Kunden- Lieferanten-Verhältnis ein Indikator für Funktionalität oder Disfunktionalität eines Unternehmens. Kriterien wie Vertrauen und der Umgang miteinander sind Faktoren, die sich erst monetär bewerten lassen, wenn ihr Fehlen zu Umsatzeinbrüchen führt. Gute Kunden-Lieferanten-Beziehungen sind „träge“ Systeme, d. h. sie müssen gar nicht unmittelbar auf Störungen reagieren. Sind sie aber nachhaltig gestört, muss ein Unternehmen wieder viel in Marketing und Kundenbindung investieren, um das Image aufzupolieren. Ehrliche „Total-Cost-of-Beziehungsbetrachtungen“ zeigen dann, dass sich Service und der regelmäßige Invest in ihn auszahlen. Die Pandemie hat in dieser Hinsicht die Spreu von Weizen getrennt – vielleicht hatte sie damit auch etwas Gutes.
„Gerade in Krisen zeigt sich der Wert von Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Die letzten Monate hat sich diesbezüglich die Spreu vom Weizen getrennt.“ Karl-Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH