Die optimale Vergussmasse formulieren

Verguss eines Sensors mit einer kalthärtenden 2K-Polyurethan-Vergussmasse (Bild: Iso-Elektra Elektrochemische Fabrik GmbH)

16.09.2019 Die optimale Vergussmasse formulieren

Materialien für die unterschiedlichsten Anforderungen in der Elektronik

von Dr. Michael Piepho (ISO-ELEKTRA Elektrochemische Fabrik GmbH)

Die ideale Vergussmasse für Elektronikbauteile gibt es nicht. Allerdings lassen sich mit dem entsprechenden Know-how für nahezu alle Anwendungen optimal angepasste Materialien formulieren.

Elektronische Schaltungen sind heute unverzichtbar und dominieren mehr und mehr unseren Alltag. Gleichzeitig steigen die Anforderung an Zuverlässigkeit und Funktionalität der Geräte, einhergehend mit deren Miniaturisierung. Letzteres wird i.d.R. durch hohe Integrationsdichten und sensible Schaltungen realisiert. War z.B. in den 80er Jahren ein Mobiltelefon eine Rarität mit den Ausmaßen eines kleinen Kastens, so besitzt heutzutage nahezu jeder ein handliches Mobiltelefon, welches zusätzlich deutlich mehr Funktionen erfüllt als sein Pendant aus der Vergangenheit. Ebenfalls sind heute elektronische Bauteile an Orten anzutreffen, an denen u.U. extreme Bedingungen bezüglich Temperatur bzw. Temperaturwechsel, Vibrationen oder aggressive Medien wie Ölen und Kraftstoffen vorherrschen. Ein Beispiel aus dem Automotive-Bereich hierfür sind Sensoren im Bereich des Motors. Aber selbst aus unseren Badezimmern sind Geräte wie die elektrische Zahnbürste oder der elektrische Rasierapparat nicht mehr wegzudenken, die sogar unter der Dusche zuverlässig ihren Dienst erfüllen. All diese Entwicklungen wären ohne den Einsatz von hoch zuverlässigen Vergussmassen undenkbar.

Warum wird vergossen?
In der Elektro- und Elektronikindustrie werden Vergussmassen überall dort eingesetzt, wo elektronische Bauteile vor chemischen, mechanischen und Umwelt-Störeinflüssen, thermischen Belastungen, Manipulation oder Produktpiraterie geschützt bzw. elektrisch isoliert werden müssen. Typische Anwendungsfelder sind das Einbetten von Transformatoren, Sensoren, Schaltern, LEDs bis hin zu ganzen bestückten Platinen. Sogar bei Starkstromanwendungen werden Vergussmassen erfolgreich seit Jahrzehnten eingesetzt.

Vergussmassen – ein kurzer Überblick
Diese Massen sind keine chemische Verbindungsklasse, sondern bezeichnen allgemein Materialien, die während der Verarbeitung flüssig sind, sodass ein Bauteil vergossen werden kann. Während der anschließenden Härtung erstarren die Materialien durch chemische oder physikalische Prozesse zu einem Festkörper. Die meisten Materialien erstarren durch chemische Härtung, d.h. eine chemische Reaktion findet statt, in deren Verlauf sich die Bestandteile des flüssigen Materials zu einem Netzwerk verbinden und ein Feststoff erhalten wird. Im Unterschied zu Lacken besitzen Vergussmassen eine hohe Schichtdicke und schützen deswegen Bauteile effektiver vor Störeinflüssen.

Vergussmassen können in heißhärtende und kalthärtende Systeme eingeteilt werden. Unter heißhärtenden Vergussmassen werden Systeme verstanden, die zum Ablauf der Härtungsreaktion zwingend für eine gewisse Zeit bei erhöhter Temperatur gehalten werden müssen. Kalthärtende Systeme härten hingegen ohne Zufuhr von Wärme aus. Das heißt allerdings nicht, dass während der Aushärtung von kalthärtenden Systemen keine Wärme frei wird. So ist i.d.R. bei kalthärtenden Vergussmassen eine Erwärmung des Materials während der Aushärtung zu beobachten, die beträchtlich von dessen chemischer Zusammensetzung abhängt.

Weiterhin lassen sich Vergussmassen in 1K-und 2K-Systeme unterteilen. 1K-Vergussmassen bestehen aus einer Komponente und können ohne Vorbehandlung direkt appliziert werden. Hingegen bestehen 2K-Systeme aus zwei Komponenten, die vor der Anwendung unbedingt gut vermischt werden müssen.

Eine ideale Vergussmasse, die für alle erdenklichen Anwendungen geeignet ist, gibt es nicht. Allerdings kann für nahezu jede Anwendung ein optimal geeigneter Vergussstoff gefunden werden. Daher ist es besonders wichtig, dass ein guter Informationsaustausch zwischen Anwender und Hersteller stattfindet, um ein bestmögliches Endergebnis zu erzielen. Dabei sollten verschiedene Punkte geklärt werden:
• manueller oder Maschinenverguss
• Bauteilgeometrie, inkl. Vergussvolumen
• Bauteilumgebung
• Einsatzbereich des Bauteils
• Kostenrahmen
• etc.

Die wichtigsten Vergussmaterialien für elektronische Bauteile basieren auf Epoxiden, Polyurethanen und Silikonen, wobei den Polyurethanen eine besondere Stellung aufgrund ihrer einzigartigen Vielfältigkeit zukommt.

Epoxide sind eine wichtige Materialklasse. Im ausgehärteten Zustand zeichnen sich Epoxidgießharze i.d.R. durch große Härte, gute mechanische Stabilität, gute elektrische Eigenschaften sowie hervorragende chemische Beständigkeit aus. Allerdings besitzen sie häufig auch eine gewisse Sprödigkeit, die jedoch durch geeignete Formulierung beeinflusst werden kann.

Unter der Stoffklasse der Polyurethane wird eine Vielzahl von Werkstoffen zusammengefasst, die unterschiedlichste Eigenschaften aufweisen. Der Name Polyurethan stammt von der Urethan-Gruppe, die durch Reaktion der Grundkomponenten entsteht, wobei ein Isocyanat mit einem Alkohol in einer Additionsreaktion zu einem Urethan umgesetzt wird. Die Bildung der Urethan-Gruppe ist in der Wärme reversibel, sodass bei Materialien aus Polyurethan bei hohen Temperaturen Depolymerisation, also die Rückreaktion, auftritt. Durch intelligente Formulierung kann diesem Phänomen effektiv entgegengewirkt werden, so dass Polyurethansysteme existieren, die bei hohen Temperaturen stabil sind. Bei keiner anderen Stoffklasse lassen sich die Eigenschaften so stark variieren und maßschneidern wie bei den Polyurethanen. So sind z.B. Systeme von hart bis weich-elastisch, von schnell bis langsam härtend oder von wasserdünn bis pastös bekannt.

Silikone sind eine spezielle Art von polymeren Verbindungen, deren Netzwerk primär durch Silizium-Sauerstoff-Bindungen zusammengehalten wird und organische Reste besitzt. Generell zeichnen sich ausgehärtete Silikone durch sehr hohe Flexibilität und Elastizität, hervorragende elektrische Isolationseigenschaften, sehr gute Witterungsbeständigkeit, hohe thermische Beständigkeit, geringe Temperaturabhängigkeit der mechano-elastischen Eigenschaften, hohe Hydrophobie und einen großen Temperatureinsatzbereich aus. Allerdings besitzen sie eine hohe Wasserdampfdurchlässigkeit (um ein Vielfaches höher als bei Polyurethanen und Epoxiden), neigen zum (reversiblen) Quellen in apolaren Lösungsmitteln wie Benzin und haben grundsätzlich eine niedrige Härte.

Praxisbeispiel
Immer häufiger wird in der Praxis bei verschiedenen Anwendungen nach einem kristallklaren Verguss verlangt. Hierfür hat die ISO-Elektra GmbH eine kalthärtende 2K-Polyurethan-Klarvergussmasse entwickelt. Sehr gut sind in Bild 2 die hohe Transparenz, die sehr glatte Oberfläche sowie die absolute Blasenfreiheit des ausgehärteten Materials zu erkennen. Die PU-Vergussmasse wurde speziell für die transparente, kristallklare Einbettung von empfindlichen elektronischen und optischen Bauteilen, wie z.B. LEDs, entwickelt. Aus diesem Grund besitzt das ausgehärtete Material eine gewisse Elastizität, haftet hervorragend auf Metallen und vielen Kunststoffen und zeichnet sich darüber hinaus durch eine besonders hohe Lichtbeständigkeit aus. Die Hydrolysebeständigkeit des Materials ist ebenfalls gut. Ein weiteres Entwicklungsziel war die möglichst einfache Durchführung eines blasenfreien, optimalen Vergusses, welcher durch intelligente Formulierung realisiert wurde. Als Folge verfügt die Vergussmasse über ein gutes Fließverhalten und eine geringe Tendenz zur Blasenbildung, wodurch sogar der Handverguss möglich ist. Das Vergussmuster mit einer Schichtdicke von ca. 1 cm in Bild 2 wurde im Handverguss angefertigt. Darüber hinaus lassen sich durch individuelle Formulierungen der Vergussmasse die Verarbeitungseigenschaften wie Topfzeit, Klebfreizeit und Viskosität über einen großen Bereich einstellen.

Fazit
Vergussmassen sind heutzutage für den Elektro- und Elektronikbereich unverzichtbar, um die hohen Geräteanforderungen bezüglich Zuverlässigkeit und Funktionalität zu erfüllen. Die wichtigsten Materialien für Vergussmassen werden auf Basis von Epoxiden, Polyurethanen und Silikonen formuliert. Dabei gestaltet sich die Materialauswahl im Detail häufig als schwierig, da keine ideale Vergussmasse existiert und die vorhandene Materialvielfalt gewaltig ist. Aus diesem Grund ist eine gute Beratung vonseiten des Materiallieferanten unabdingbar.

Fakten für Konstrukteure
• Die Konstruktion der Bauteile hat z.T. erheblichen Einfluss auf die Optionen beim Verguss – wodurch sich eine frühzeitige Abstimmung empfiehlt

Fakten für Einkäufer
• Die Wahl der richtigen Vergussmasse trägt u.U. nicht unerheblich zur nachhaltigen Produkt-Performance bei und sollte deshalb mit Sorgfalt bedacht werden

Fakten für Qualitätsmanager
• Für die jeweils definierten Qualitätsstandards lassen sich heute die unterschiedlichsten Vergussmassen formulieren

Kontakt zum Autor

Bild 2: Anwendungsbeispiel für einen Klarverguss auf Basis von Polyurethanen (Bild: ISO-Elektra Elektrochemische Fabrik GmbH)

Bild 2: Anwendungsbeispiel für einen Klarverguss auf Basis von Polyurethanen (Bild: ISO-Elektra Elektrochemische Fabrik GmbH)

Lösungspartner

ISO-ELEKTRA Elektrochemische Fabrik GmbH
ISO-ELEKTRA Elektrochemische Fabrik GmbH

 

Zielgruppen

Einkauf, Konstruktion & Entwicklung, Qualitätssicherung