08.06.2022 Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – europäische Hybris, die am Ziel vorbeigeht
Am 1. Januar 2023 tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Dies soll zunächst nur für Unternehmen ab 3.000 und später ab 1.000 Mitarbeitenden gelten.
Da diese Unternehmen aber eine Vielzahl kleinerer Lieferanten haben, werden die ersten Fragekataloge an KMU gesendet. Die Folge ist, dass sich quasi jedes Unternehmen mit dem Thema intensiv beschäftigen muss, da ansonsten erhebliche Bußgelder oder der Abbruch der Geschäftskontakte zu befürchten sind bzw. ist. Was beinhaltet das Gesetz, d.h. was muss nachgewiesen werden? Die Liste der Aspekte, die systematisch bei einem Lieferanten hinterfragt werden, ist lang. Dazu zählen z.B., ob es in seinem Umfeld oder bei ihm selbst Kinderarbeit, Kinderhandel, Sklaverei, Zwangsarbeit gibt, die Arbeitsschutzpflichten nach nationalem Recht eingehalten werden, ein angemessener Lohn bezahlt wird, es ein Recht auf Streik, Gewerkschaftsbildung gibt, ob es Ungleichbehandlungen aufgrund von nationaler und ethnischer Abstammung, sozialer Herkunft, Gesundheitsstatus, Behinderung, sexueller Orientierung, Alter, Geschlecht, politischer Meinung, Religion oder Weltanschauung gibt. Des Weiteren gilt es abzufragen, ob es durch die Leistungen des Lieferanten schädliche Bodenveränderungen, Gewässer- und/oder Luftverunreinigungen, Lärmemissionen oder einen übermäßigen Wasserverbrauch gibt. All dies soll zudem jährlich dokumentiert und auf der Website öffentlich gemacht werden. Die Einhaltung des Gesetzes erfordert z.B. eine Risikoanalyse auf Basis einer Checkliste, eine Zustimmung der Lieferanten zu einer Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie und einen Maßnahmenkatalog, was nach und nach von den Lieferanten umzusetzen ist. Dieses Gesetz wirft aber eine zentrale Frage auf, der wir uns zukünftig noch zu anderen Themen stellen sollten. Dabei kritisiere ich nicht seinen Inhalt als Leitbild für unternehmerisches Handeln, sondern die Form und die Adressaten des Gesetzes. Ich dachte, wir denken und handeln international und in dem Wissen, dass jedes Land, jedes Unternehmen weltweit seinen Teil zum Wohle aller beiträgt. Dass dies Wohl durchaus unterschiedlicher definiert wird, ist Fakt. Ebenso dass über diese Themen zwischen Systemen mit unterschiedlichen Werten gesprochen werden muss. Umso erstaunlicher ist es, dass das, was hier in dem Gesetz gefordert wird, zumeist von Politikern bei internationalen oder bilateralen Gesprächen gemieden wird. Die Liste ist lang. Aktuelle Themen sind z.B. der Verstoß gegen die Menschenrechte seitens der Chinesen gegenüber den Uiguren. Was Staaten oder Wertegemeinschaften untereinander nicht lösen können, sollen nun Unternehmen als „Handlanger“ richten, um so unsere Sicht auf die Welt und Wertmaßstäbe auf internationale Handelsbeziehungen und damit andere Nationen zu übertragen.
Betrachten wir die Realität. Wenn wir nur für z.B. Indien und China, die beiden bevölkerungsreichsten Nationen der Welt, eine Risikoanalyse für Polymere durchführen, bedeutet das in letzter Konsequenz, dass wir uns von Lieferanten aus solchen Ländern verabschieden müssen, da eine Vielzahl an Anforderungen nicht erfüllt werden. Zwar heißt es im Gesetz ausdrücklich, dass dies ein Prozess ist, der angestoßen werden muss. Aber was sind die notwendigen Konsequenzen? Wer gibt wem welche Zeit für Entwicklung und wessen Denken ist der Maßstab? Gerade letztere Frage kann kaum über Handelsbeziehungen geklärt werden.
Wird das Ganze aus Sicht von Unternehmen in Indien oder China betrachtet, ist mit Unverständnis zu rechnen. Da schreiben europäische Unternehmen ihre Lieferanten an und hinterfragen die genannten Kriterien. Aus deren Sichtweise fordern wir damit die Akzeptanz der europäischen Werte ein. Hier müssen wir aufpassen, dass sich diese Länder nicht von Europa abwenden, da sie nicht bereit sein werden, permanent Rechenschaft abzulegen und/oder unsere Wertmaßstäbe zu übernehmen. Wir sind Partner in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft, die auf gegenseitigem „Geben und Nehmen“ beruht. Mit diesem Gesetz wird unsere Sicht der Dinge zum Maßstab und dokumentiert unsere moralische Überlegenheit als „Gutmenschen“.
Bitte nicht falsch verstehen – wir sollten in Demut dankbar sein, in einer europäischen Gemeinschaft zu leben, in der die Themen Menschenrechte, Klima- und Umweltschutz, soziale Verantwortung etc. Leitgedanken unseres Handelns sind oder zunehmend werden. Wir erleben aber täglich, dass diese Werte in anderen Regionen der Welt einen anderen Stellenwert oder gar keinen haben. Nach aktuellen Beispielen muss man nicht lange suchen.
Das Gesetz wird den notwendigen Diskurs zwischen Werte-Anschauungen nicht lösen und stößt ihn auf der falschen Ebene höchst bürokratisch an. Es sollte zurückgenommen werden. Das bedeutet nicht, dass sich nicht jedes Unternehmen von den dort formulierten Inhalten leiten lassen kann und sollte. Der Handlungsdruck, der unseren globalen Handel nach und nach verändern wird, entsteht eher über Reflektion und Auswahl von Handelspartnern, die sich ähnlichen Werten verpflichtet fühlen, als über Zwangsgelder.
„Wir müssen aufhören, Unternehmen einseitig durch Gesetzesvorgaben zu verpflichten, unsere Werte zu exportieren.“ Karl-Friedrich Berger, Gesellschafter, ISGATEC GmbH