12.06.2023 Beendet das Plastic Bashing – legt den Streit bei und packt gemeinsam an
Die Kunststoffindustrie hat in den letzten Jahren kräftig auf die Mütze bekommen. Berechtigt: Über Jahrzehnte, viel zu lange, wurden Plastikverpackungen und Produkte auf den Markt geworfen, ohne dabei einzukalkulieren, was damit nach Ende der Nutzungsdauer geschehen wird. Für Länder ohne geregelte und bezahlbare Abfallentsorgung war und ist dies ein Desaster, aber auch für Industrienationen eine Herausforderung. Die Spuren sehen wir jetzt überall, wenn nicht am Straßenrand, dann doch in der Presse, mit Bildern von Müllstrudeln im Pazifik, verschmutzten Landschaften und Tieren, verstrickt in Plastiktüten.
Und die Mengen werden unweigerlich größer: nach Prognose der OECD bis 2060 etwa um das Dreifache [1].
Kein Wunder, dass wir als Konsumierende und Anwendende verunsichert sind, was die Nutzung von Kunststoffen und deren Folgen betrifft. Manche wünschen sich eine Welt ohne Plastik und propagieren einen vollständigen Verzicht, da immer neue Negativ-Schlagzeilen auftauchen. Letztes Jahr wurde erstmals Mikroplastik im Blut eines Menschen gefunden. Mit steigendem Verbrauch belastet Kunststoff auch immer mehr das Klima, und die Schweiz wurde jüngst sogar zum europäischen Rekordhalter beim Plastikabfall per capita gekürt [2]. Die positive Seite: Die Zahlen und Bilder scheinen zu wirken. Die Industrie ist aufgewacht und man ist um einen Imagewechsel bemüht. Kunststoffhersteller kooperieren mit Regierungen und Umweltverbänden, um die wirklich
sehr komplexe Situation durch technische und wirtschaftliche Lösungen zu verbessern. Dass Produkte und Verpackungen aus recyceltem Plastik Sinn machen, weil dies notwendige Kreisläufe in Gang setzt, kommt jetzt auch in der Mitte der Gesellschaft an. Ebenso, dass Papier, Glas oder Metall nicht immer gute Alternativen sind, sondern oft ein Mehrfaches an Energie verbrauchen und an Treibhausgasen verursachen. Kunststoffe können, wenn vorausschauend eingesetzt und richtig entsorgt, offensichtlich einen positiven Beitrag zur Klimadebatte leisten. Was die Situation unnötig erschwert, sind polarisierende, einseitige oder ungenügend recherchierte Darstellungen. Vermeintlich frohe Nachrichten der Hersteller und Industrieverbände, etwa wenn Kunststoffe als „Superhelden gegen Treibhausgasemissionen“ tituliert werden, sollte man sicher immer mit einem kritischen Auge betrachten, bzw. mit unabhängigenStatistiken vergleichen. Auch Veröffentlichungen mutmaßlicher Kunststoff-Gegner sind nicht immer hilfreich. Sei es ein Beitrag im deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit [3], mit einem sehr pauschalen Fazit, dass „Recycling nicht funktioniert“, was vermutlich den Erfolg von ungefähr einem Jahr technologischer Weiterentwicklung und Überzeugungsarbeit zunichte gemacht hat. Oder das von BBC News publizierte Foto einer – bis dahin unbekümmerten – Meeresschildkröte, die kurzerhand per Photoshop mit einer Plastiktüte behängt worden war [4]. Bei genauerer Betrachtung finden sich viele Beispiele, wie das Unbehagen der Gesellschaft gegenüber Kunststoff genutzt wird, und zwar sehr oft nicht dazu, um Lösungen zu finden, sondern um Spenden und Einschaltquoten hochzutreiben. Also Leute, bleibt entspannt – ein guter Diskurs ist notwendig, aber es hilft niemandem, sich gegenseitig die Schuld zuzuweisen, am wenigsten der Umwelt. Plastik macht viele Probleme, doch es ist kein Killergift, das radikal bekämpft und beseitigt werden muss. So schnell werden wir Kunststoffe auch nicht los. Anstatt zu streiten, sollten wir ihre Vorteile bewusst nutzen, den Verbrauch von Einwegplastik minimieren und funktionierende Recyclingströme aufbauen. Und das kann nur mit einer guten Kooperation aller Beteiligten funktionieren.
„Wir müssen den Blick konstruktiv nach vorne richten, Transformationen in Form von Grabenkämpfen kosten Ressourcen, die wir wahrscheinlich nicht haben.“ Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, IMP Institut für Mikrotechnik und Photonik