16.09.2019 Ausgelatschte Pfade verlassen
Die letzte Dekade war für unsere Wirtschaft von stetigem Wachstum und immer höheren Umsatz- und Ergebnismeldungen geprägt. Viele Unternehmen hatten Mühe, ihre Aufträge termingerecht abzuarbeiten. Und aufgrund des Fachkräftemangels wurde es zunehmend schwieriger, die richtigen Leute zur Bewältigung der Auftragslage zu finden. Solche „goldenen Zeiten“ gibt es immer wieder, doch sie haben auch ihre Schattenseiten: Man nimmt sich zu wenig Zeit für eine „vorausschauende Planung“ oder besser die Bewertung der Auswirkungen der aktuellen Trends und Entwicklung auf das eigene Unternehmen. Die konstanten Umsatzsteigerungen haben viele Unternehmen abgelenkt, dies zu tun.
Jetzt wird die Stimmung gedämpfter – aber sind wir ehrlich, von Wirtschaftskrise sollten wir bitte noch nicht sprechen. Klar, die Zeiten sind nicht gemütlich, aber wann waren sie das je in den letzten 150 Jahren zwischen den Phasen der „goldenen Jahre“. Heute kündigt ein twitternder Präsident einfach so Verträge, um neue „Mega-Deals“ abschließen zu können. Handelskriege mit steigenden Eskalationen verunsichern die wirtschaftlichen Lenker und „über Nacht“ krempelt die Elektromobilität, eine gut 100 Jahre alte Technologie, eine unserer Schlüsselindustrien um und bekommt in Kombination mit der derzeit drängenden Klimaproblematik eine sehr hohe öffentliche Bedeutung. Überraschung? Doch nur für Kurzsichtige. Die Reaktion: Wir gehen reflexartig in die Extreme. Schade, dass dabei auf eine ganzheitliche Betrachtung einer zukunftsgerichteten Mobilität zugunsten der E-Mobility verzichtet wird. Von außen hat man den Eindruck, dass einzelne Automobilhersteller ganz unterschiedlich einschätzen, wohin sich unsere Mobilität entwickeln wird. Die Entwicklung der zukünftigen Mobilität wird nicht kontinuierlich verlaufen, sondern eher disruptiv und heutige Top-Player werden hier ihre Rolle finden müssen. Das betrifft übrigens die ganze Lieferketten mit ihren Kundenbeziehungen.
Für viele Unternehmen zieht das einen massiven Wandel nach sich, dem es sich mit seinen Möglichkeiten stellen muss. Dabei werden auch andere aktuelle Trends eine Rolle spielen. Die Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht in zunehmenden Maß neue und effizientere
Prozesse in Produktion und Administration. Komplexe Entscheidungen werden dabei auf Basis von Algorithmen von Maschinen, und nicht von Menschen, getroffen. Allerdings sollte man auch hier realistisch sein. Vieles was derzeit unter dem Label „KI“ vermarktet wird, ist eigentlich ausgefeilte Steuerungsund Regelungstechnik – eine der Kernkompetenzen der deutschen Wirtschaft. Parallel wird die Automatisierung unserer Produktionsanlagen fortschreiten und die Arbeitswelt verändern – aber das ist mit der Einführung der Dampfmaschine auch passiert.
Die Frage ist letztendlich, wie man mit den Herausforderungen umgeht und wie ein Unternehmen – von der Strategie bis zur Unternehmenskultur – „zukunftssicherer“ wird. Das braucht – ja nach Stand eines Unternehmens – Zeit und ganz sicher keine klassischen Reflexe. Ein Beispiel: Bei sinkenden Umsätzen wird gespart. Beliebtes Mittel ist das Kürzen von Reisen, Sondervergütungen (Motivation) und Fortbildungen. Sinkt der Umsatz weiter, reduziert man die Schwelle des vorzeitigen Ruhestandes, verhängt Einstellungsstopps und kündigt, wo immer nur möglich. Man setzt also bei den Menschen und ihrem Know-how an. Ressourcen, die ein Unternehmen für eine zukunftssichere Entwicklung in dynamischen Märkten aber langfristig braucht. Relativ selten wird beim Management angesetzt, das die guten Jahre nicht genutzt hat, um ein Unternehmen auf den Wandel vorzubereiten, sondern für steigende Gewinne zulasten der Zukunft gut entlohnt wurde.
Und gerade dieses Management sollte sich von kontinuierlich planbaren Entwicklungen verabschieden, die in den goldenen Zeiten quasi vorgezeichnet waren. Die Zukunft wird auch im Bereich Dichten. Kleben. Polymer. wohl disruptiver, als wir es uns derzeit wünschen oder vorstellen. Folgt man den Gedanken von Dr. Bernhard Mutius, dem Pionier des „Disruptive Thinking“ im deutschsprachigen Raum, ist: „Disruption nichts, was bald wieder vorbei sein wird“. Wir leben aktuell in einer Übergangszeit und brauchen deshalb ein völlig neues Denken. Störungen, Unsicherheiten, Querdenken, Unmögliches müssen Bestandteil unseres zukünftigen Denkens sein, sonst wird es uns nicht gelingen, all diese Herausforderungen, Anforderungen
der neuen Zeit zu bewältigen. Leicht gesagt, aber schwer umzusetzen, da dies oft bis in die Unternehmenskultur reicht. Ein kleines Beispiel: Bei der additiven Fertigung ist die bisherige Denkweise der Kunststofftechnik zwar hilfreich, aber nicht zielführend. In quasi jedem Beitrag steht, dass Konstrukteure neue Freiheitsgrade haben und Lösungen anders denken müssen/können. Doch welcher Konstrukteur hat in seinem Unternehmen den Raum, das zu tun, auszuprobieren, zu scheitern und wieder aufzustehen? Unabdingbar hierfür ist es deshalb, in den Unternehmen ein Klima aufzubauen, das Fehler, Trial and Error, zulässt und jedem Einzelnen Freiheit zu Entfaltung gibt. Weiteres Beispiel: Den Mitarbeitern wird die Fortbildung gestrichen. Somit fehlt Know-how, das ein Unternehmen für effiziente Lösungen mit neuen Technologien braucht – Stichwort „Klebtechnik“. Heute ist es schon ein disruptiver Gedanke für viele, bei nicht so guter Geschäftslage weiter in Mitarbeiter und Know-how zu investieren. Gerade im Bereich Dichten. Kleben. Polymer., wo wichtige Lösungen für quasi alle aktuellen Trends entstehen, ist Top-Know-how über neue Technologien, Perspektiven und Grenzen sowie den Stand der Technik ebenso wichtig, wie ein tragfähiges Netzwerk zu haben. Grundsätzlich „Disruptive Thinking“ zuzulassen und im Unternehmen durchgängig zu implementieren, anstatt das weitere Ablaufen ausgelatschter Pfade zu forcieren, wird ein Schlüssel des zukünftigen Erfolgs sein. Dabei spielen meines Erachtens Menschen und Maschinen eine gleichgewichtige Rolle.