„Auf Vorrat denken“ – später mal wieder

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09.03.2023 „Auf Vorrat denken“ – später mal wieder

von Karl-Friedrich Berger (ISGATEC GmbH)

In vielen Managementstudien und -empfehlungen wird vorausschauendes, „auf Vorrat denken“ für das unternehmerische Überleben eines Unternehmens als unabdingbar hervorgehoben. Das klingt gut, aber welches Unternehmen im Bereich Dichten. Kleben. Polymer. hat die Entwicklungen der letzten zwei bis drei Jahre vorhersehen können?

Pandemie mit Lockdowns und Ausgangssperren, hohe Krankenstände, das Abreißen der Lieferketten, der Krieg in der Ukraine, die Energiepreisexplosion. Die Folge waren z.B. Preisanstiege von 25% bis 45% für Materialien, Dichtungen und Formteile. Wenn wir das alles im Voraus gedacht hätten, was wären vor drei Jahren unsere Entscheidungen gewesen? Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass KMU, die im Bereich Dichten. Kleben. Polymer. vorherrschen, i.d.R. weniger Handlungsoptionen haben als Großunternehmen. Das gilt z.B. für die personellen Ressourcen, die zahlreichen Hilfen, die Bund und Länder gewährt haben, um Auswirkungen abzumildern, zu nutzen. Das Chaos der vielen Regelungen und zu berücksichtigenden Verordnungen bzw. Formulare und die „Geschwindigkeit“ unserer Bürokratie konnte man zwar ahnen, aber in der Form wohl kaum vorausdenken.

Was man vorausdenken konnte, sind bestimmte Mechanismen unserer Wirtschaftspolitik. Ein Beispiel: Wer am meisten und lautesten schreit, hat die besten Chancen auf Hilfen. Wenn z.B. große, internationale Chemiekonzerne eindringlich mahnen, ihre Produktion durch eine gute Energieversorgung sicherstellen zu müssen, finden sie offene Ohren in der Politik und Unterstützung. Mir ist keine Dichtungsstanzerei und kein Formteilehersteller bekannt, dem das gelungen ist. Hier ist es immer wieder bedauerlich, dass KMU keine durchsetzungsfähige Lobby haben, um in solchen Ausnahmesituationen pragmatische Hilfe zu erwirken. Unsere viel zitierte Mittelstandspolitik ist für mich derzeit nicht existent. Und es geht munter weiter. Nur ein Beispiel: Derzeit haben rd. 1/3 aller Unternehmen in Baden-Württemberg, die eine Corona-Soforthilfe erhielten, Rückforderungsbescheide erhalten. Man spricht von rd. 572 Mio. €. Die Handwerkskammer spricht zwar von einer Bestrafung der Unternehmen und die IHK verweist darauf, die Soforthilfe sei mit „heißer Nadel gestrickt worden“ – dass ändert aber nichts. Für viele KMU kommt erschwerend dazu, dass diese Rückforderungen in eine Zeit massiv gestiegener Energievorauszahlungen fallen. Konnte man das vorausdenken?

Natürlich gibt es auch hier Zuschüsse, um die Auswirkungen zu mildern. Wieviel wird es diesmal sein? Wann werden sie ausbezahlt? Müssen sie wieder zurückgezahlt werden? Hier drehen wir uns im Kreis. Diese Form der „Kreislaufwirtschaft“ hat keine Perspektive und gibt auch keine Sicherheit bzw. Planbarkeit.

Dafür erhalten wir gute Ratschläge, zum Umgang mit steigenden Kosten: Um dem „Rat“ unseres derzeitigen Wirtschaftsministers zu entsprechen, sollten wir – im übertragenen Sinne – einfach keine Dichtungen und Formteile produzieren, wenn die Kosten nicht gedeckt sind. Dieser Tipp eröffnet unseren klein- und mittelständischen Herstellern und Verarbeitern, die teilweise seit Jahrzehnten die Geschicke ihrer Unternehmen erfolgreich gelenkt haben, ganz neue Perspektiven. Das kann man nicht „auf Vorrat denken“.

Ganz anders verhält es sich bei neuen Regularien, die haben wir uns zwar nicht ausgedacht, aber wir sehen die Folgen kommen. So dürfen wir uns seit Beginn des Jahres mit dem in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz intensiv beschäftigen. Großunternehmen und Großkunden der KMU werden von ihren kleinen Lieferanten die erforderlichen Nachweise einfordern. Auch die ESG-Berichtspflicht (Nachhaltigkeit) geht zulasten unserer knappen Ressourcen „Zeit und Personal“. In Kürze folgt dann das Hinweisgeberschutzgesetz. Bei all diesen Themen stellen sich wieder die Fragen: Wie hilfreich sind Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Verbände? Wo finden KMU noch Gehör und wirkliche Unterstützung? Früher haben Politiker sich überwiegend damit beschäftigt, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen zu schaffen und entsprechende Gesetze und Verordnungen zu erlassen. Das hat sich zu einem direkten Eingreifen in die Wirtschaft verlagert.

Im Bereich Dichten. Kleben. Polymer. liefern wir viele Lösungen und Produkte für aktuelle Entwicklungen wie E-Mobility, erneuerbare Energien und Umweltschutz. Hier ist viel selbstständiges und vorausschauendes Denken und Handeln erforderlich. Eine Überregulierung durch Staat und EU hilft nicht und es ist nicht erkennbar, wie das aktuelle Chaos erfolgreich von uns – den klein- und mittelständischen Betrieben – gemanagt werden kann? Auch das überdurchschnittliche Engagement, mit denen viele KMU versuchen, ihre Unternehmen durch das Chaos zu lenken, kommt an seine Grenzen. Problematisch wird es, wenn Engagement, Intuition, Kreativität und Durchsetzungskraft von KMU und ihren Mitarbeiter:innen nicht mehr reichen, um Krisen zu meistern. Hier würde ich mich über mehr Realitätssinn und -wahrnehmung von Lobbyisten, Politikern, Verwaltung etc. freuen. Ich traue mich aber nicht, ein solches Szenario „auf Vorrat zu denken“.

Karl Friedrich Berger, Gesellschafter ISGATEC GmbH
„Bevor wir wieder auf Vorrat denken, sollten wir erst mal unser aktuelles Chaos ordnen.“ Karl Friedrich Berger, Gesellschafter ISGATEC GmbH

Lösungspartner

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung, Vertrieb