16.09.2019 „Disruptive Entwicklung ist nicht schlimm, sondern nur der ungewohntere Ansatz.“
Notwendige Entwicklungen im Mittelstand mithilfe von KI und Start-ups – projektbezogen und ohne große Hürden realisieren
KI (Künstliche Intelligenz), Start-ups, disruptive Entwicklungen – diese Begriffe sind für viele mittelständische Unternehmen im Bereich Dichten. Kleben. Polymer. Neuland und/oder mit Befürchtungen behaftet. „Die Befürchtungen sind meist überflüssig“ meint Dr.-Ing. Thomas Wenzel, Inhaber von startup to corporate, „und auf Neuland kann man mit einem projektbezogenen Ansatz die notwendige Sicherheit erlangen“.
Warum ist eine disruptive Entwicklung bei vielen Unternehmen eher negativ belegt?
Dr. Wenzel: Dafür kann es verschiedene Gründe geben. So z.B. dass disruptive Marktveränderungen oft Change für Unternehmen bedeuten. Im Bereich der Mobilität und den damit verbundenen Herausforderungen erleben wir das gerade. Vertraute evolutionäre Unternehmensentwicklungen greifen hier zu kurz und alle sind gefordert, sich zu verändern und etwas zu wagen. Denn oft ist gar nicht klar, wohin die Reise geht und ob der Weg erfolgreich sein wird. Automatisch steigt das Unwohlsein und die Reflexe, beim Alten zu bleiben, werden stark. Doch leider führt an disruptiven Veränderungen manchmal kein Weg vorbei. Aber letztendlich hat jedes Unternehmen die Wahl, seine Zukunftsentwicklung aktiv zu gestalten. Dabei ist ist sicherlich heute die Balance zwischen „altem Geschäft“ und Entwicklung von neuen Geschäftspotenzialen wichtig. Für eine zu starke Fokussierung auf das alte Geschäft und/oder eine zu langsame eher evolutionäre Unternehmensentwicklung gibt es mit Kodak, Nokia, Blackberry etc. inzwischen ein paar abschreckende Beispiele.
KI ist derzeit in aller Munde – ist das wieder so ein Hype oder eine echte Perspektive?
Dr. Wenzel: Lassen Sie mich mit einer Gegenfrage antworten: Sind KI-gesteuerte Roboter mit völlig eigenbestimmten Entscheidungen Science-Fiction? Nein, sondern seit Jahren im kommerziellen Einsatz. Deshalb sind die Auseinandersetzung mit und die Entscheidung für einen KI-Ansatz kein Trend und keine Perspektive, sondern es besteht in vielen Unternehmen eher Nachholbedarf im Kontext zu ihrer Entwicklung und notwendigen Zukunftssicherung.
Sind wir in Deutschland nicht technologisch schon weit abgehängt?
Dr. Wenzel: Dies kann man aus unterschiedlichen Blickwickeln betrachten. Zunächst die schlechte Nachricht: China meldet jährlich 30-mal mehr KI-Patente an als Deutschland. Die gute Nachricht: Wir liegen bei technischen Lösungen, der Automatisierung und industriellen Prozessen vorne. Und die, nehmen wir mal z.B. ein Dosiersystem, kann man mit KI immer auf neue Leistungsebenen heben. Aber kein Informatiker kann zu intelligenter Software eine passende Dosieranlage bauen. Mit diesem Hebel bleiben wir bei KI-integrierten Systemen vorne – wenn wir uns jetzt dieser öffnen.
Ist KI nicht nur etwas für große Konzerne und nicht eine Nummer zu groß für Mittelständler?
Dr. Wenzel: Nein, Dax-Konzerne und einige der größten Firmen haben längst eigene Kompetenzzentren etabliert. In den anderen Unternehmen wäre diese Kompetenz existenziell wichtig, um nicht den technologischen Anschluss zu verlieren. Abschreckende Beispiele sind die genannten „unverwundbaren“ Marktführer wie Kodak, Nokia, Blackberry etc. Mittelständische Unternehmen müssen die Chancen und Bedrohungen durch neue Technologien jetzt erkennen – und aktiv entwickeln. Da es für Mittelständler zu aufwändig wäre und keinen Sinn macht, dafür vorsorglich ein eigenes Start-up-Kompetenzzentrum aufzubauen, bieten wir für Einzelprojekte die Komplettlösung „As a Service“ an.
In ihrem Konzept verbinden Sie Unternehmen mit der KI der Start-up-Szene. Wie funktioniert das?
Dr. Wenzel: Nach unserem erprobten 5-Stufen-Prozess: Weil das disruptive Potenzial von KI im Einzelfall alles andere als offensichtlich ist, analysieren wir mit den Technikern der Kundenfirma, wo es Bedarf und Potenzial für Verbesserungen gibt. Hier gibt es auch bei Dichtungs- und Kleblösungen interessante Ansätze. Wir leiten aus den definierten Fragen und Aufgabenstellungen die passende KI-Technik her. Dann suchen wir dafür, auf Basis unseres weltweiten persönlichen Netzwerkes, das speziell geeignetste Start-up. Im Dreierteam mit den Technikern der Kunden, dem Start-up und startup to corporate folgt eine Anwendungsentwicklung mit „Proof of Concept“. Hier liegt die Verantwortung beim Kunden – also bei den Menschen, die alle Anforderungen kennen und später die Lösung vertreten. Wir sind „interkulturelle Projektmanager“. Schließlich folgt die Integration der Lösung, z.B. durch Vertriebsschulungen und meistens eine geringe Beteiligung am Start-up.
Warum fokussieren Sie sich auf Start-ups?
Dr. Wenzel: Zwei Gründe: Erstens ist die echte KI-Anwendung sehr fragmentiert. Sie braucht wirklich Spezialisten – und davon die besten. Unter den 1 Mio. hoch motivierten Tech-Start-ups kann ich wirklich auswählen. Zweitens: KI-Anwendungen müssen permanent lernen – bei Anwendungen aus ganz anderen Bereichen. Wir hatten zum Beispiel einmal die Analyse von Bewegungen auf Parkplätzen, die „andere Anwendung“ war die Erkennung von Tumoren aus radiologischen Aufnahmen. Die Bandbreite gibt es nur bei Start-ups.
Ist KI nicht aufwändig und damit teuer?
Dr. Wenzel: Das ist relativ. Klar, ein Invest in ein KI-Projekt muss sich rechnen, z.B. durch die um eine Größenordnung bessere Leistungsfähigkeit und durch die starke Kostensenkung. Berücksichtigen sollte man in der Kalkulation aber auch immer das Invest in die Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens. Hier müssen viele Unternehmen auch erst das Potenzial von disruptiven Entwicklungen für sich erkennen und Vertrauen in diesen Ansatz entwickeln. Das geht am besten über Projekte. Dabei können auch wirtschaftliche Effekte sehr schnell bewertet werden.
Braucht man dabei zwingend KI? Dr. Wenzel: Brauchen Sie nicht. Künstliche Intelligenz ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug. Deshalb steht bei uns die Problemlösung im Fokus, nicht die KI als solche. Aber zur künftigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit braucht man bei einzelnen Themen sprunghafte Verbesserungen. Und dabei hilft die KI, was nicht bedeutet, dass wir nicht auch schon KI-freie Lösungen realisiert haben und das die „richtige Lösung“ war.
Was ist die „richtige Lösung“?
Dr. Wenzel: Das ist weniger die Frage, entscheidend ist: Was ist das „richtige Problem“? Wir haben es in Projekten erlebt, dass ein wichtiges Problem wegen vermeintlicher Aussichtslosigkeit nicht beachtet wurde. Deshalb machen wir uns erst ein Bild der Prozesse und Abläufe eines Unternehmens im Kontext zum definierten Themenkomplex und heben dabei Potenzial mit einer bestimmten Technologie – das ist dann die „richtige Lösung“. Das klingt anspruchsvoll, ist aber unser Handwerk. Dabei halten wir es mit Steve Jobs: „Es wird viel zu viel Aufwand verschwendet, zu einer neuen Technologie das passende Problem zu finden – und viel zu wenig versucht, zu realen Problemen die passende Technologie zu finden“.
Welche Vorteile bietet der disruptive Ansatz?
Dr. Wenzel: Er verändert den Blick auf Fragestellungen und ist nebenbei auch erfolgreich. Wenn Sie mit disruptiver Technologie in einem Projekt 80 % der Kosten einsparen und gleichzeitig neuartige Leistungen liefern, ist es faszinierend zu sehen, was dies mit den Teams in den Unternehmen macht.
Wie reagieren die Mitarbeiter?
Dr. Wenzel: Natürlich gibt es am Anfang Skepsis, aber am Ende sind die Erfahrungen immer sehr positiv. Und das ist ein wichtiger Punkt: Es geht nicht ohne die Menschen. Wir brauchen ihre Kompetenz unbedingt und erweitern diese durch das Handling des KI-Moduls. Das bringt dann einen Motivationssprung: „ich kann das jetzt“.
Ein weiterer Aspekt des Konzeptes ist die Zusammenarbeit mit Start-ups. Wie riskant ist es für Mittelständler, mit Start-ups zusammen zu arbeiten?
Dr. Wenzel: Es gibt Risiken – riskanter kann es sein, neue Technologien zu versäumen. Das Risiko ist bei unserem Konzept überschaubar, schließlich ist das Thema klar umrissen und nach jeder unserer fünf Stufen fällt die Entscheidung über die Fortsetzung. Schon beim Proof-of-Concept-Schritt wird klar, ob die Lösung unter realen Bedingungen funktioniert – bis hin zur Einhaltung gesetzlicher Zulassungen. Das wirkliche Risiko besteht darin, die Nutzung neuer Technologien zu versäumen – weil man sie nicht erkennt oder nicht anwenden kann.
Wann sollte sich ein Mittelständler am Start-up beteiligen?
Dr. Wenzel: Wenn der Proof-of-Concept erfolgreich war, bietet eine Beteiligung Vorteile: Mit einem Sitz im Board des jungen Unternehmens lässt sich die strategische Entwicklung beeinflussen. Als Miteigentümer entscheidet man auch, wer sich sonst beteiligen darf und sichert so Wettbewerbsvorteile. Und natürlich profitiert das Unternehmen als Investor von der Wertsteigerung. Indem ein Start-up durch das Unternehmen eine echte industrielle Anwendung erhält, steigt gleichzeitig sein Wert. Wir managen das mit unserem Venture-Capital-Spezialisten, z.B. finden wir geeignete Co-Investoren.
Vielen Dank für das Gespräch.
KI und ein disruptiver Ansatz sind keine Trends, sondern Realität. Sie sind auch keine Perspektive sondern – insbesondere für den Mittelstand – u.U. eine Notwendigkeit zur Zukunftssicherung. Dr.-Ing. Thomas Wenzel, Inhaber, startup to corporate