„Bring Carbon back“ – kann man  Kohlenstoff eigentlich recyceln?

(Bild: AdobeStock_ gradt)

12.03.2024 „Bring Carbon back“ – kann man Kohlenstoff eigentlich recyceln?

von Dr. Arno Maurer (OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik)

Der planetare Kohlenstoffhaushalt ist in Schieflage geraten. Wir setzen weitaus mehr Kohlenstoff aus fossilen und biogenen Quellen frei, als wir zurückgeben.

Ein Großteil davon spendet Energie und endet als Treib­hausgas. Ein anderer Teil verbleibt als Kunststoffmüll bzw. in Form einiger langlebiger Produkte im – so nett bezeichneten – anthropogenen Lager. Geschlossene Kreisläufe, wie die Natur es uns mit Atmung und Photosynthese vormacht, werden damit nicht geschaffen.

Was also tun? In jedem Fall die Energiewirtschaft decarbonisieren – ein Erfolgsmodell: 2023 war erstmals deutlich über 50% der in Deutschland erzeugten Energie erneuerbar [1] – Prognose stark steigend. Was Kunststoffe betrifft, skizziert eine aktuelle Untersuchung der ETH Zürich die Auswirkung verschiedener Optionen auf einige der planetaren Grenzen bis 2050 [2]. Sichere Handlungsräume können demnach schon bis 2030 nur dann eingehalten werden, wenn bei der Produktion von Kunststoffen die Recyclingraten auf 75% gesteigert und mit der Nutzung von Biomasse und CO2 kombiniert werden – all dies ist bereits eine große Herausforderung. Bis 2050 wird der Bedarf an Kunststoffen so stark zunehmen, dass selbst mit weiterentwickelten Recyclingmethoden keine Klimaneutralität erreicht werden kann.
Dieser Zielkonflikt erfordert demnach einen systemischen Wandel unserer Methoden zur Herstellung und Verwendung von Kunststoffen – d.h., dieses Problem kann nur mit Technologien und Rahmenbedingungen gelöst werden, die erst noch erfunden bzw. entwickelt werden müssen! Das klingt irgendwie nach dem Plan zur Nutzung der Kernfusion bis 2050 … aber bleiben wir bei der Circular Economy für Kohlenstoff und darauf basierenden Produkten. Nach der Decarbonisierung der Energiewirtschaft werden Kunststoffe, neben Chemikalien und Wirkstoffen, zu den wesentlichen Verbrauchern von organischem Kohlenstoff zählen – und das bei einem geschätzten Bedarf bis 2050 von mehr als 1 Gt/a [3]. Hierfür werden vorrangig die erneuerbaren Kohlenstoffquellen CO2 aus Luft, Biomasse und Recycling zur Verfügung stehen. Damit aufgebaute Kreisläufe sollen möglichst frei von systematischen oder dissipativen Verlusten sein. Am Ende des Produktnutzungszyklus muss der enthaltene Kohlenstoff auf molekularer Ebene wiedergewonnen und in den Kreislauf zurückgeführt werden.

Eine entsprechende Roadmap von Plastics Europe sieht vor, bis 2050 einen Anteil von 65% zirkulärer Rohstoffe zu erreichen. In Verbindung mit einer CO2-Reduktion von 28% in den Herstellungsprozessen soll die Kunststoffwirtschaft bis dahin klimaneutral werden [4]. Das Ganze funktioniert vermutlich umso besser, je mehr es gelingt, gleichzeitig den Bedarf an Neukunststoffen zu bremsen, z.B. durch einen massiven Ausbau von Mehrwegverpackungen und Pendelsystemen. Zusätzlich werden weitere Veränderungen der politischen Lenkungsinstrumente, wie der Kohlenstoffsteuer, notwendig. Das erste globale Plastikabkommen soll noch in diesem Jahr in Kraft gesetzt werden und die EU arbeitet im Rahmen des Green Deal an neuen Gesetzesinitiativen mit drastisch erhöhten Rezyklat­quoten für viele Produkte [3].

Was die notwendigen technologischen Fortschritte betrifft – hier die Wunschliste:

  • Die Abscheidung von CO2 aus der Luft muss technisch weiterentwickelt und wirtschaftlich werden. Gleiches gilt für die Nutzung zur Herstellung von Massenkunststoffen.
  • Da die am häufigsten verwendeten Kunststoffe, Polyethylen und Polypropylen, noch aus der Ära der fossilen Rohstoffe stammen, muss vielleicht ein ganz neues „Plastik-Ökosystem“ erfunden werden – auf Basis von massentauglichen, für die Herstellung aus CO2 und für ein verlustfreies Recycling optimierten neuen Kunststoffen.
  • Als Kohlenstoffquelle kann zusätzlich Biomasse dienen, sofern sie nicht mit der Lebens- und Futtermittelproduktion konkurriert – neue Konzepte und Wertschöpfungsketten sind dann gefragt, ausgehend z.B. von Algen oder Energiepflanzen.
  • Parallel dazu müssen völlig neue Recyclingpfade erschlossen und technisch skaliert werden – vom Rohstoffrecycling bis zur Wiedergewinnung von gebundenem Kohlenstoff in Form von Synthesegas.
  • Und schließlich fehlt noch eine sichere Lösung zur Lagerung von nicht mehr nutzbarem Kohlenstoff – warum nicht in Form von inerter Pyrolysekohle, die wir kontrolliert in Deponien einbauen und somit den Kohlenstoff wieder zurück in die Erde bringen, aus der wir ihn jahrhundertelang entnommen haben?

Bring Carbon back!

Literatur
[1] Umweltbundesamt: Erstmals über die Hälfte des Stroms in Deutschland erneuerbar. 15.12.2023, https://www.umweltbundesamt.de/themen/erstmals-ueber-die-haelfte-des-stroms-in 
[2] Bachmann, M., Zibunas, C., Hartmann, J. et al.: Towards circular plastics within planetary boundaries. Nature Sustainability 6, 599–610 (2023). https://doi.org/10.1038/s41893-022-01054-9
[3] Nova Institut: Neue Recycling-Methoden halten Kohlenstoff im Kreislauf. Recyclingmagazin, 25.09.2023, https://www.recyclingmagazin.de/2023/09/25/neue-recycling-methoden-halten-kohlenstoff-im-kreislauf
[4] J. Wille: Plastik soll öko werden – doch Umweltverband warnt vor „Scheinlösungen“. Frankfurter Rundschau, 6.11.2023, https://www.fr.de/politik/plastik-reduzieren-klima-fossile-rohstoffe-industrie-plan-plastics-europe-umweltverband-bund-kritik-92655990.html

Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, Mikrotechnik und Photonik, OST  Ostschweizer Fachhochschule Mikro­technik und Photonik
„CO2-Reduktion sollte aus Kunststoffsicht weiter als die bisherigen Ansätze gedacht und realisiert werden.“ Dr. Arno Maurer, Senior Research Scientist, Mikrotechnik und Photonik, OST Ostschweizer Fachhochschule Mikro­technik und Photonik

Lösungspartner

OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik
OST – Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Mikrotechnik und Photonik

 

Zielgruppen

Einkauf, Instandhaltung, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung, Unternehmensleitung, Vertrieb