17.09.2018 Vorprogrammierten Ärger vermeiden

Technische Zeichnungen nach aktuellen Normen erstellen

von Dipl.-Ing. Ernst Ammon (keine Informationen)

Da die Anforderungen an Produkte immer anspruchsvoller werden und die Produkte weltweit gefertigt werden sollen, ist es notwendig, diese präzise, vollständig und eindeutig zu definieren. Das ISO-System für „Product specification and -verification” (GPS) wurde im Laufe der letzten 23 Jahre entwickelt, um diesen Bedürfnissen der Industrie gerecht zu werden.

Mit der Einführung der ISO 8015 von 2011 ist eine wesentliche Änderung von GPS vollzogen worden:

  • Alle GPS-Normen sind gültig, sobald der Konstrukteur ein GPS-Symbol anwendet. Dies kann u.a. eine Oberflächenangabe oder eine Ebenheitsangabe sein.
  • Die Zeichnung (das Modell) ist Vertragsgrundlage, also muss alles auf der Zeichnung beschrieben werden. Was nicht darauf vorhanden ist, kann vom Lieferanten oder Hersteller nicht gefordert werden.
  • Bei der Toleranzzone ist jetzt der Defaultwert das Geometrieelementekonzept, d.h., wenn keine besondere oder zusätzliche Angabe vorhanden ist, gilt die Toleranz nur für ein einziges Geometrieelement.
  • Das Unabhängigkeitsprinzip besagt, dass alles unabhängig zu betrachten ist. Den wenigsten ist bewusst, dass, wenn sie eine Positionsangabe machen, dies u.a. auch nur die Geradheit der Achse sein kann, wenn sie kein Bezugssystem angeben. Hier muss genau analysiert werden, was wie beschrieben wird.
  • Wichtig ist auch, dass der Konstrukteur verantwortlich für die Funktion ist. Diese muss in der Zeichnung (dem Modell) wiederzufinden sein. Deswegen ist es wichtig zu wissen, welche Zeichnung der Konstrukteur anzufertigen hat. Hier gibt es eine Vielzahl von Zeichnungsarten, z.B. Funktionszeichnung, Vertragszeichnung, Prüfzeichnung, Fertigungszeichnung. Jede dieser Zeichnungen kann einen anderen Inhalt haben.

Dies sind nur einige – aber zentrale – Grundsätze, die in der ISO 8015 beschrieben sind.

Veränderungen in den Normen
Viele Betriebe haben nicht erkannt, wie sich die internationale Normung verändert hat. Daher ist es für sie schwer, Produkte außerhalb ihrer Fertigung oder ihres Absprachebereichs eindeutig zu beschreiben und herstellen zu lassen (Bild 1).

Eine Zeichnung ist ein Vertragsdokument. Wenn diese Zeichnung unvollständig oder mehrdeutig ist, ist Ärger vorprogrammiert. Es kann ohne Weiteres der Vergleich mit einem Notarvertrag angestellt werden. Ist dieser schlecht ausgeführt, treten Probleme auf. Daher sollten sich die Mitarbeiter immer wieder weiterbilden, damit sie sichere und eindeutige Unterlagen erstellen können. Auch die Geschäftsleitung muss sicherstellen, dass alle Mitarbeiter in der Lage sind, die Aufgaben, die sie machen sollen, sicher auszuführen und dass der Ablauf nachzuvollziehen ist.

Veränderungen der Spezifikationen
Früher war es eindeutig, die Abstände wie in Bild 2 zu bemaßen. Heute ist die Angabe mehrdeutig, weil sie über Positionstoleranz oder Profiltoleranzen definiert wird. Eine Zeichnung ohne Bezugsangabe ist meist mehrdeutig. In der DIN EN ISO 14405-2 sind sehr viele Beispiele dargestellt, die aufzeigen, wie sich die Welt verändert hat und infolgedessen zu handeln ist. Wir sprechen immer wieder von „Industrie 4.0“. Deshalb sollten wir unsere Zeichnungen so erstellen, dass alles eindeutig beschrieben ist. Dazu gehören Bezüge wie auch Größenmaße.

GPS-Matrix
Bei den GPS-Normen muss unterschieden werden, für welche Kettenglieder sie definiert sind. Die Kettenglieder A bis C beinhalten die Spezifikation. Das Kettenglied A beschreibt die Symbole und die Angaben in den Zeichnungen. Das Kettenglied B definiert die Anforderung an das Geometrieelement und das Kettenglied C beschreibt die Merkmale an den Geometrieelementen. Die Verifikation wird von den Kettengliedern E bis G beschrieben. Dabei wird von Kettenglied E die Anforderung an die Messung definiert. Bei Kettenglied F werden die Anforderungen an die Messgeräte festgelegt und Kettenglied G beschreibt die Anforderung an die Kalibrierung der Messgeräte. Das Kettenglied D definiert die Übereinstimmung und Nicht-Übereinstimmung zwischen der Spezifikation und der Verifikation.

Die neuen geometrischen Merkmale fangen vom Größenmaß her an. Danach folgen Abstand, Form, Richtung, Ort, Lauf, Oberflächenbeschaffenheit für Profil und Fläche und Oberflächenunvollkommenheit.

Für den Konstrukteur ist es wichtig zu wissen, ob er in seiner Konstruktion alle diese Merkmale mit den Kettengliedern von A bis C beschreiben muss oder ob es ihm reicht, wenn er nur wenige Merkmale beschreibt. Jedem Konstrukteur muss bewusst sein, dass das, was er nicht beschreibt, er auch nicht in seiner Konstruktion fordern kann. Dabei sollte er sich überlegen, welches Risiko er in seiner Konstruktion eingehen will – exakte Anforderungen, die zu erhöhten Kosten führen, aber das Risiko verringern, oder wenige Definitionen/ Beschreibungen mit geringeren Kosten, die dafür das Risiko erhöhen. Die exakte Vorgabe in der Zeichnung beschreibt alles, vom Taster in der Auswertung über das Assoziationskriterium bis hin zum Filter und zu Filterwerten.

Es stellt sich hier allerdings immer die Frage, ob dies alles gebraucht wird. Diese Frage kann nur der Konstrukteur beantworten, weil er in seiner Funktionsbetrachtung genau unterscheiden muss, was passieren kann und wer bereit ist, das Risiko zu tragen. Ist eine Anforderung unbestimmt oder die Auslegung lässt dies offen, ist die Spezifikation zweideutig. Diese Unklarheit in einer Spezifikation wird als „Spezifikationsunsicherheit“ bezeichnet. Je höher die Spezifikationsunsicherheit ist, desto größer ist das Risiko, dass das hergestellte Produkt untauglich ist.

GPS-Normen
Wichtige Normen sind:
• Für die Spezifikation von Größenmaßen – die DIN EN ISO 14405-1 „Lineare Größenmaße“ und die DIN EN ISO 14450-3 „Winkelgrößenmaße“
• Für die Spezifikation von Abständen – die DIN EN ISO 14405-2 „Andere als lineare Maße“
• Für Form, Richtung, Ort und Lauf – die Normen DIN EN ISO 1101 „Tolerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf“ und DIN EN ISO 1660 „Profiltolerierung“
• Die Norm ISO 5458 „Pattern and combined geometrical specification“ ist noch nicht als DIN EN ISO 5458 neu erschienen. Die alte Norm von 1999 ist überholt. Wahrscheinlich wird die DIN EN ISO 5458 Ende des Jahres 2018 vorhanden sein. Diese Norm ist für viele Konstrukteure sehr wichtig, weil sie bisher das Unabhängigkeitsprinzip bei der Positionstolerierung nicht richtig umgesetzt haben (siehe Anhang B im Standard).
• Bei der Oberflächenbeschaffenheit des Profils – DIN EN ISO 1302 „Angaben der Oberflächenbeschaffenheit in der technischen Produktdokumentation“ und DIN EN ISO 4288 „Oberflächenbeschaffenheit: Tastschnittverfahren“
• Bei Oberflächenbeschaffenheit der Fläche – Normenreihe DIN EN ISO 25178-xx
• Bei Oberflächenunvollkommenheiten – die DIN EN ISO 8785 „Oberflächenunvollkommenheiten“ , die jedoch von vielen nicht in der Zeichnung angegeben wird. Hier stellt sich die Frage, warum die Konstrukteure darauf verzichten.
• Die DIN EN ISO 5459 „Bezüge und Bezugssysteme“ ist eine sehr wichtige Norm, weil in jeder Zeichnung Bezüge vorhanden sein sollten. Ohne Bezüge ist eine Zeichnung unvollständig.
• Die Allgemeintoleranzen DIN ISO 2768-1 und -2, die in fast allen Zeichnungen vorhanden sind, will man in der ISO ersetzen, weil die DIN ISO 2768-2 von vielen falsch oder unvollständig interpretiert wurde und deshalb häufig zu Rechtsstreitigkeiten geführt hat. Hierfür will man eine einfachere Norm schaffen, die den heutigen Messgeräten gerecht wird.

Damit sind nur einige wenige Normen aus dem GPS-Normenbestand genannt. Diese sind aber immens wichtig, d.h. jeder, der mit Zeichnungen zu tun hat, muss diese nicht nur kennen, sondern auch können.

Fazit
Es wird von vielen Unternehmen angeführt, sie seien entweder zu groß oder zu klein, um die Vielzahl der Normen einhalten zu können, es gebe zu viele und unverständliche Normen mit zu vielen unbestimmten Begriffen. Die Konstrukteure und das Qualitätspersonal seien damit weit überfordert und die Kreativität und Produktivität würden zu stark darunter leiden. Als Gegenargument ist jedoch zu nennen, dass, je höher die Spezifikationsunsicherheit ist, desto größer das Risiko ist, dass das hergestellte Produkt nicht zweckmäßig oder ungeeignet ist, den definierten Anforderungen gerecht zu werden.

Man kann sicher auf eine höhere Spezifikationsunsicherheit setzen, wenn man sich auf die Fertigkeiten und Kenntnisse des Handwerkers/der Firma verlassen möchte, um ein zufriedenstellendes Produkt/Ergebnis zu erzielen. Der Nutzen ist eine sehr einfache Spezifikation, aber mit der Konsequenz, dass ein hohes Maß an Variationen von einem Teil zum nächsten auftreten und ein Mangel an Austauschbarkeit vorhanden sein kann. Es besteht auch eine größere Wahrscheinlichkeit, dass Streitigkeiten auftreten, ob das hergestellte Produkt angenommen werden muss oder nicht.

Deshalb kostet die Einführung des „Standes der Technik“ die Unternehmen nicht so viel, wie sie ihnen hilft, Geld zu sparen.

Literatur [1] DIN EN ISO 14638 Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Matrix-Modell [2] DIN EN ISO 8015 Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Grundlagen – Konzepte, Prinzipien und Regeln

Weitere Informationen
Von Dipl.- Ing. (Univ.) Ernst Ammon, Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm

Fakten für Konstrukteure
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• Richtige Zeichnungen erleichtern den Beschaffungsprozess erheblich, hier lohnt es nicht, am falschen Ende zu sparen

Fakten für Qualitätsmanager
• Die Produktqualität und die Vermeidung von Reklamationen beginnen bei vernünftigen technischen Zeichnungen

Bild 1: Entwicklung der Produktspezifikationsnormen (Bild: Ernst Ammon)

Bild 1: Entwicklung der Produktspezifikationsnormen (Bild: Ernst Ammon)

Bild 2: Entwicklung der Produktspezifikationsnormen (Bild: Ernst Ammon)

Bild 2: Entwicklung der Produktspezifikationsnormen (Bild: Ernst Ammon)

Lösungspartner

Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm

 

Zielgruppen

Einkauf, Konstruktion & Entwicklung, Produktion & Fertigung, Qualitätssicherung